2026: Welt der zwei Geschwindigkeiten

Allianz Global Investors

Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 05.11.2025

Die Weltwirtschaft tritt 2026 in eine Phase ein, in der alte Gewissheiten bröckeln und neue Trends heranwachsen. Handelskonflikte, politische Spannungen und eine sich neu ordnende Globalisierung prägen den Kurs der Märkte. Doch mitten in dieser Unsicherheit entwickelt sich eine faszinierende Parallelbewegung: Die technologische Revolution rund um Künstliche Intelligenz sorgt für einen Investitionsschub, der viele der geopolitischen Bremsspuren überlagert.

Was sich 2026 abzeichnet ist eine „Welt der zwei Geschwindigkeiten“. Während die USA weiter zwischen politischem Druck, Inflation und den Nebenwirkungen einer extremen Konzentration auf wenige Titel am Aktienmarkt kämpfen, zeigen andere Regionen überraschende Stärke. Besonders Europa, China und Indien rücken als alternative Wachstumspole in den Vordergrund – nicht nur aus Bewertungsgründen, sondern wegen klarer politischer Impulse und struktureller Trends.

Europa erlebt nach Jahren der Schwäche eine Renaissance der wirtschaftspolitischen Gestaltungsmacht. Dank einer stabileren Inflationsentwicklung könnten sowohl die Europäische Zentralbank (EZB) als auch die Bank of England (BoE) die Zinsen weiter senken. Gleichzeitig investieren viele Staaten – allen voran Deutschland – massiv in Verteidigung, Infrastruktur, Digitalisierung. Das Ergebnis ist ein europäisches Marktumfeld, das durch niedrigere Konzentrationsrisiken an den Aktienmärkten, attraktivere Bewertungen und neue fiskalische Impulse glänzt. „Boring is beautiful – Langweilig ist schön“: Europa überzeugt weniger durch die Phantasie des Neuen, sondern durch Stabilität.

In Asien zeigt sich ein gespaltenes Bild. China kämpft weiterhin mit Kapitalabflüssen, geopolitischem Druck und einer schwachen Immobilienbranche. Doch die Regierung reagiert aktiv: Zinssenkungen, Aktienkäufe und gezielte Liquiditätshilfen sollen die Wirtschaft stabilisieren. Und tatsächlich: Seit Mitte 2024 haben chinesische Aktien wieder an Fahrt gewonnen. Die Märkte günstig und unterinvestiert bei globalen Investoren. Für langfristig orientierte Anleger ergeben sich daraus antizyklische Chancen, insbesondere in innovativen Sektoren. Indien dagegen bleibt die Wachstumsstory der Schwellenländer. Das Land profitiert von einer jungen Bevölkerungen, einer weltweit führenden digitalen Infrastruktur und der strategischen Neuordnung globaler Lieferketten. Als „China +1“-Standort wächst es dynamisch in Pharma, Technologie, Konsum und Digitalisierung. Mit über 200 börsennotierten Unternehmen oberhalb von 5 Milliarden US-Dollar Marktkapitalisierung ist Indien heute ein liquider, breit diversifizierter Markt – und kein klassischer Emerging Market mehr.

Parallel dazu bleibt der Anleihemarkt eine Welt voller Gegensätze. Während die Bewertungen in vielen Kreditsegmenten eng sind, sprechen robuste Fundamentaldaten und niedrigere Zinsen für einen konstruktiven Blick. Besonders attraktiv erscheinen Anleihen der Schwellenländer, einer Region, die vom schwächeren Dollar und weiterhin diszipliniert agierenden Zentralbanken profitieren sollten. Auch europäische Staatsanleihen – insbesondere deutsche Bundesanleihen – zeigen sich als Stabilitätsanker.

In der Summe führt an einer breiteren, globalen Diversifizierung kein Weg vorbei. Der US-Markt ist weiterhin dynamisch, doch das Bewertungsniveau und die politische Unsicherheit legt keine Übergewichtung nahe. Die Währungsseite gewinnt an Bedeutung: Der Dollar verliert seine frühere Rolle als Krisenversicherung.

Besonders stark hervorgehoben wird die Rolle der „privaten Märkte“ – „private markets“, die Investitionen in weniger liquide Anlagen ermöglichen. Infrastruktur sollte einer der stabilsten Ertragsmotoren bleiben – gespeist u.a. durch die Energiewende, die Digitalisierung und eine geopolitische Neuordnung.

2026 wird ein Jahr, das Anleger zwingt, alte Muster zu hinterfragen. Die Weltordnung fragmentiert – aber gleichzeitig entstehen neue Pfade. Wer Diversifikation ernst nimmt, geografisch breiter denkt und technologische wie strukturelle Trends erkennt, findet trotz Unsicherheit ein reiches Feld an Chancen.

Das legt folgende taktische Allokation für Aktien und Anleihen nahe:

  • Bei europäischen Aktien liegt innerhalb des Aktiensegments im Portfolio eine Übergewichtung nahe. Europa sollte 2026 ein attraktiveres Chancen-Risiko-Profil bieten als die USA: niedrige Bewertungen, weniger Konzentrationsrisiken auf eine Hand voll Technologiewerte, dazu politische Unterstützung durch Investitionsprogramme zur Förderung der Infrastruktur und der Verteidigungsfähigkeit. Der Herzschlag des US-Aktienmarkts wird von Technologiewerten und KI bestimmt. Der US-Aktienmarkt weist zum Teil sehr ambitionierte Bewertungsniveaus aus und sollte, durch die starke Dominanz einiger Titel rund um die Künstliche Intelligenz, anfälliger für Rückschläge sein.
     
  • China und Indien empfehlen sich als Beimischung, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Motiven heraus. Indien weist robuste Fundamentaldaten aus, entwickelt sich gegenüber China und der „alten“ Welt demografisch sehr vorteilhaft und hat einen wachsenden Kapitalmarkt. China kann antizyklisch beigemischt werden, wobei es nicht einfach zu greifen ist. Zum einen sind chinesische Aktien günstig bewertet. Sie werden politisch gestützt und die Firmen weisen eine starke Innovationskraft aus. Nicht übersehen werden sollte aber, dass das Land unter der US-amerikanischen Zollpolitik zu leiden hat, und gleichzeitig demographisch unter Druck steht.
     
  • Staatsanleihen der Eurozone können aufgestockt werden. Deutsche Bundesanleihen und die Anleihen der Kernstaaten insgesamt sollten von einer begleitenden Geldpolitik der EZB und niedriger Inflation profitieren. Bei US-Anleihen sollte die Duration vorsichtig dosiert werden entlang Inflationsentwicklung. Das Inflationsrisiko in den USA ist gegenüber jener des Euroraums deutlich erhöht.
     
  • Lokale Anleihen der aufstrebenden Staaten „E erging Markets“ sollten von hohen Realzinsen, Währungsaufwertungen und starken Fiskalpositionen profitieren. Für Investoren mit Risikobudget können Hartwährungsanleihen aus den Emerging Markets eine Ergänzung darstellen.
     
  • Unternehmensanleihen sollten nur selektiv beigemischt werden, mit einem Fokus auf Qualität. Investment Grade-Anleihen, also Anleihen bester Bonität, bleiben interessant, aber nur mit aktiver Titelauswahl. Die Risikozuschläge von High-Yield-Anleihen (Anleihen schlechterer Bonität) sind außergewöhnlich eng. Hier liegt eine neutrale Gewichtung nahe.
     
  • Währungen und Rohstoffe müssen 2026 aktiv gesteuert werden. Der US-Dollar sollte taktisch reduziert werden. Hier zeichnet sich eine strukturelle Schwächung ab. Gold kann noch gehalten werden. Sobald es zu Übertreibungen kommt, empfiehlt sich die Gewinne teilweise zu sichern.

Investmentthema: Europäische Autonomie

  • Europa stärkt seine strategische Autonomie, wodurch Kapital verstärkt in Zukunftssektoren fließt
  • Die geopolitische Neuausrichtung sorgt für kräftige staatliche Investitionen, etwa durch Programme wie „ reparation 20 0“ und den „Green eal“.
  • Die Kombination der Programme mobilisiert gezielt Investitionen in Verteidigung, Infrastruktur und grüne Technologien.
  • Diese Förderung des europäischen Innovationsökosystem sollte dazu betragen das Wachstumspotenzial zu steigern und die europäischen Firmen zu fördern.
  • Technologische Katalysatoren – v. a. innovative Smallund Mid-Caps – treiben Fortschritt in Energie, Infrastruktur, Biotechnologie und Cybersecurity voran.
  • Europäische Autonomie als Anlagethema kann global allokierenden Investoren auch helfen, das Konzentrationsrisiko, das sie bei einer globalen Benchmark durch den hohen Anteil von US-Aktien (und hier vor allem Technologiewerten) an der Marktkapitalisierung haben, zu verringern.
     

Dass Sie 2026 in der richtigen Geschwindigkeit vorankommen, wünscht Ihnen


Dr. Hans-Jörg Naumer

Director Global Capital Markets & Thematic Research

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