Greiffbar – Investments zum Anfassen vom 31.07.2025
Zahlen-Zauber
Dreihundertmal Greiffbar – das sind dreihundert Versuche, die Welt des Geldes mit Worten zu vermessen. Dreihundertmal Kapital mit Kopf oder Haltung mit Herz. Dreihundertmal Börse, Biss und Bourdieu. Bourdieu? Ja, genau genommen Pierre Bourdieu, der vor 75 Jahren am 1.August 1930 in Frankreich geboren wurde. Seine Sozialphilosophie zu Macht, Ungleichheit und kulturellem Kapital beschreibt sehr gut, wer du bist (Habitus), was du hast (Kapital) und wo du spielst (Feld), um über deinen Platz in der Gesellschaft zu entscheiden. Genau das interessiert mich seit der ersten Ausgabe meiner Kolumne. Ich berichte über die Spielfelder der Finanzmärkte, dem Habitus der Handelnden und natürlich über das wöchentliche Kapital-Kabarett. Der große Soziologe Bourdieu sezierte wie kaum ein anderer die Machtmechanismen der Welt: ökonomisches, soziales, kulturelles Kapital – alles Formen von Einfluss, alles Spielfelder des ewigen Ringens um Dominanz. Würde er heute leben, er hätte seine helle Freude an den Geschehnissen dieser Woche. Kapital in all seinen Aggregatzuständen: von Zöllen bis Zinsstillstand, von Tech-Triumphen bis Trump-Tiraden. Willkommen in meiner dreihundertsten Ausgabe.
Zoll-Zirkus
Die USA und Europa haben ein Zollabkommen geschlossen, das so asymmetrisch ist wie ein Schachspiel, bei dem einer nur mit Bauern antritt und der andere mit Damen spielt. In Brüssel spricht man von Win-Win, in Washington von Take-Take. Bourdieu hätte wohl von „symbolischer Gewalt“ gesprochen – jener sanften, fast unsichtbaren Form der Unterwerfung, die sich in den Verträgen fortschreibt, ohne dass jemand dagegen rebelliert. Das neue transatlantische Miteinander wirkt eher wie ein fauler Friede, als ein Dauer-Deal. Die Kapitalmärkte blieben davon weitgehend unbeeindruckt stabil. Doch medial brach ein Zoll-Zirkus los, der die Realität völlig verkennt. Was hätte Europa denn in die Waagschale werfen können, nachdem man sich jahrelang ökonomisch, militärisch und geopolitisch selbstverzwergt hat? Wir waren es, die jahrelang unfaire Zölle auf US-Waren erhoben haben, wir waren es, die das Freihandelsabkommen an lapidaren Hühnchen haben scheitern lassen. Statt Macht haben wir die Moral als Exportschlager auserkoren. Wenn wir wirklich das Heft des Handelns beschreiben wollen, dann sollten wir zügig Gas geben, um digitale Dominanz, machbare Migration, intellektuelle Intelligenz und produktive Politik wieder zu etablieren. Dann nimmt man Europa auch wieder ernst. Apropos:
Zins-Zirkel
Die US-Notenbank hält auch diese Woche den Leitzins stabil. Ruhe auf dem Parkett? Von wegen. Aus Florida wehen wieder die bekannten Schallwellen: Trump knöpft sich Fed-Chef Jerome Powell vor, nennt ihn „den größten Hemmschuh der US-Wirtschaft“ und garniert das Ganze mit den üblichen Floskeln, die sich nicht einmal mehr als Drohung verkleiden. Bourdieu hätte gesagt: „Symbolisches Kapital wird hier in Lautstärke umgerechnet.“ Der Markt? Hört weg. Die Kurse zuckten nicht einmal. Zumindest nicht wegen des Zins-Zirkels, sondern vielmehr wegen des Tech-Triumphes. Während Politik und Geldhüter streiten, liefern die Tech-Giganten Meta und Microsoft traumhafte Umsatzzahlen. Meta und Microsoft im Märchenland bei der Verkündung ihrer Quartalszahlen. Meta glänzt mit 22 % Umsatzwachstum und 10 % nachbörslichem Kursanstieg und Microsoft übertrifft mit 18 % Umsatzwachstum die Prognosen der Experten und brilliert am Parkett. Ihre Gewinne erscheinen wie ein Paralleluniversum zum geopolitischen Kleinklein. Bourdieu hätte es trocken notiert: „Kapital akkumuliert, wo Konflikte nur Geräusch sind.“ Ich verabschiede mich geräuschlos mit dieser Jubiläumsausgabe und hebe das Glas auf die nächsten dreihundert Ausgaben und Sie, meine Leser. Vielen Dank für Ihre Treue.
Ihr Volker Schilling