Raiffeisen Capital Management "Märkte unter uns" Juni 2025
Die Hoffnung stirbt zuletzt – so könnte man die jüngsten, überraschend optimistischen „risk on“-Tendenzen am Kapitalmarkt bezeichnen – nach den Schockwellen Anfang April infolge der Zollankündigungen und dem nachfolgenden, temporären Aufschub durch US-Präsident Trump. Abgesehen von den üblichen Gewöhnungseffekten unter den Marktteilnehmern, gibt es offenbar auch weiterhin ausreichendes Vertrauen dahingehend, dass die zahlreichen und mitunter erratischen Ankündigungen zur Handelspolitik ein essenzieller Bestandteil der Verhandlungstaktik seitens der US-Administration sind und sich alle schon erkennbaren wirtschaftlichen Implikationen letztlich in Wohlgefallen auflösen. Anders ist die unverändert überdurchschnittlich hohe Bewertung nicht zu erklären, obwohl sich das aktuelle Umfeld und auch die Aussichten nachhaltig verändert haben. Denn mit höheren Importzöllen als vor dem „liberation day“, selbst wenn diese dann effektiv weit unter den unrealistischen Erstankündigungen zu liegen kommen, dem nun eingeschränkten Welthandel und den damit beeinträchtigten Lieferketten, dem sinkenden Verbrauchervertrauen in der Erwartung spürbar höherer Preise und der Furcht vor einer Eintrübung am Arbeitsmarkt, sowie der mangelnden Planungssicherheit und dem erhöhten Margendruck bei den Unternehmen erscheint die amerikanische Wirtschaft bereits jetzt angeschlagen.
Dementsprechend weisen zahlreiche Frühindikatoren auf eine Abschwächung der Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten in den kommenden Wochen und Monaten hin. Darüber hinaus wird die ohnehin schon sehr hohe Verschuldung der Vereinigten Staaten infolge der kürzlich beschlossenen Steuerreform einen neuen Höchststand erreichen und das Vertrauen in das US-Finanzsystem zusätzlich belasten. Angesichts dieser Rahmenbedingungen stellt sich die Frage, ob es in den USA nur zu einer Wachstumsdelle oder zu einer – eher seltenen – Stagflation (also der Kombination aus wirtschaftlicher Stagnation und erhöhter Inflation) oder letztlich doch zu einer ganz „normalen“ Rezession kommt, in der die Notenbank entsprechend gegensteuern kann. Je nach Ausmaß des Abschwungs in den Vereinigten Staaten, wird es wohl auch global zu einer Wirtschaftsabschwächung kommen. Unsere Markt-Indikatoren bestätigen weiterhin eine risikoaverse Positionierung, daher bleibt auch die leichte Untergewichtung von Aktien bestehen.
Marktumfeld – Anleihemärkte
Erholung bei Unternehmensanleihen
Auch die Anleihemärkte waren im Mai von wachsender Hoffnung auf eine Entspannung im Handelskrieg geprägt. Das kam „riskanteren“ Anleiheklassen zugute und brachte die bonitätsstärksten Anleihen etwas unter Druck.
Entsprechend zählten High-Yield-Anleihen zu den Top-Monatsperformern, aber auch Unternehmensanleihen guter Bonität, italienische Staatsanleihen und Schwellenländer-Hartwährungsanleihen verbuchten eine positive Monatsperformance. Auf der Gegenseite gaben die Kurse der „sichersten“ Anleihetypen, wie deutsche und US-Staatsanleihen, im Mai leicht nach.
Die Jahresperformance ist dagegen weiterhin massiv von der starken US-Dollar-Abwertung im März und April geprägt: Das sorgt dafür, dass die Performance von US-Anleihen (gleich welchen Typs) seit Jahresbeginn auf Eurobasis stark negativ ist.
Für die meisten Euro-Anleihen verlief das Jahr bisher dagegen sehr vorteilhaft, vor allem, wenn sie Renditeaufschläge gegenüber der Benchmark Deutschland boten. Allein deutsche Staatsanleihen (lange Laufzeiten) sind seit Jahresbeginn bei +/-Null.
Marktumfeld – Aktienmärkte
Börsenerholung setzte sich im Mai (noch) fort
Die Börsenerholung, die nach den panikartigen Abverkäufen Anfang April auf Grund der Handelskriegs-Eskalation noch im April begann, setzte sich im Mai vorerst weiter fort. Getrieben wird sie – wie schon Ende April – von der Hoffnung, dass sich der Handelskonflikt weiter entschärft und sich der Schaden für Unternehmensgewinne und Gesamtwirtschaft damit in Grenzen hält. Dafür spricht, dass ein großer Teil der Zollerhöhungen vom 2. April derzeit (bis Anfang Juli) ausgesetzt ist, und die Verhandlungen laufen. Dass die US-Regierung trotzdem immer wieder zusätzliche Zoll-Drohungen ausstößt (um sie dann zum Teil wieder zurückzunehmen), und die wichtigsten Handelsgespräche, nämlich jene mit China, mehr als schleppend verlaufen, beunruhigte den Aktienmarkt im Mai (noch) nicht.
Im Mai sorgte das jedenfalls quer über alle Aktienmärkte für kräftige Monatszuwächse. Aktienindizes wie der deutsche DAX erreichten damit im Mai sogar Allzeithochs. Was Aktienmärkte ebenfalls tendenziell unterstützte: Das derzeit im US-Parlament behandelte Budgetgesetz sieht deutliche Steuersenkungen vor. Das ist zwar schlecht für die langfristige Entwicklung der US-Staatsfinanzen, würde aber kurzfristig die Konjunktur unterstützen.
Marktumfeld – Rohstoffe und Währungen
Goldpreis: Verschnaufpause im Mai
Seit dem letzten Allzeithoch des Goldpreises Mitte April entwickelte sich der Goldpreis im Mai seitwärts. Eine Entwicklung, die aus unserer Sicht aber eher nach einer Konsolidierung vor neuen Höchstständen aussieht als einem Ende des langfristigen Aufwärtstrends. Unter anderem, weil die Politik der US-Regierung nach wie vor alles andere als vertrauensstärkend in den US-Dollar ist, und viele der diskutierten Maßnahmen (wie z. B. Strafsteuern auf Wertpapiererträge für ausländische Investoren) den US-Dollar weiter untergraben würden. Einer der Hauptprofiteure eines schwächeren US-Dollars war historisch meist der Goldpreis. Aber im Mai wurden die jüngsten Preisanstiege offensichtlich erst einmal verdaut. Auch Energie und Industriemetalle traten im Mai auf der Stelle.
Passend zur Seitwärts-Konsolidierung bei Gold pausierte im Mai auch der US-Dollar seinen Abwertungstrend der Vormonate. Wenig Monatsbewegung ist auch bei den anderen Währungspaaren zu sehen (außer einem deutlich festeren Rubel).
Seit Jahresbeginn sieht das ganz anders aus: Für diesen Zeitraum dominiert am Währungsmarkt der massive Wertverlust des US-Dollars und des chinesischen Yuan gegenüber dem Euro.
Ausblick – Globale Wirtschaft
Konjunkturrisiko noch nicht gebannt
Mit der jüngsten Entspannung/Pausierung im Zollkonflikt hat sich auch das Rezessionsrisiko vorerst einmal reduziert – für Entwarnung ist es aber definitiv zu früh! Denn viele der Zölle (Stahl etc.) sind weiterhin in Kraft, die anderen nur reduziert und kontinuierlich droht die US-Regierung weitere Zölle drastisch anzuheben. Wie viel davon nur Theaterdonner ist, wird sich erst noch herausstellen. Angesichts der vor allem mit dem wichtigsten Handelspartner China eher enttäuschend laufenden Verhandlungen sind wir aber skeptisch, dass der Konflikt erfolgreich vollständig entschärft wird. Während der Markt also Anfang April zu pessimistisch war, was die Handelseskalation und entsprechende Rezessionsgefahr betrifft, so scheint er uns den Schaden inzwischen eher zu unterschätzen, den selbst teilweise Zollanhebungen und die derzeitige Investitionsunsicherheit anrichten werden. In den nächsten Monaten dürften – vor allem in den USA – einige schwächere Wirtschaftsdaten (und in den USA auch höhere Inflation) ins Haus stehen. Dass die US-Wirtschaft im ersten Quartal schrumpfte, hatte dagegen mit Rezession noch nichts zu tun: Um Zollanhebungen zuvorzukommen, boomten im ersten Quartal 2025 Importe in die USA, was rechnerisch das Bruttoinlandsprodukt (kurz BIP) reduzierte. Das wird sich im zweiten Quartal entsprechend wieder umkehren. Aber die Konjunkturvorlaufindikatoren (z. B. PMIs) liegen inzwischen nur mehr knapp an der Wachstumsgrenze von 50 –viel neuerliche Eskalation im Handelskrieg dürfte die Konjunktur also nicht mehr vertragen.
Ausblick – Inflation und Notenbanken
EZB senkt – US-Notenbank wartet zu
Nachdem ein großer Teil der US-Zollanhebungen vorerst ausgesetzt bzw. (vor allem mit dem wichtigsten Lieferland China) vorübergehend stark reduziert wurde, hält sich die US-Inflation derzeit nochauf recht tiefen Niveaus. Die allgemeine Befürchtung ist aber, dass in den nächsten Monaten noch einige der verbliebenen Zölle ihren Weg in (höhere) US-Inflationsdaten finden werden – vor allem wenn es in den nächsten Wochen keine Fortschritte bei den Verhandlungen gibt. Diese Sorge teilt auch die US-Notenbank FED, und wartet mit weiteren Zinsanhebungen derzeit erst einmal die weitere Entwicklung im Zollstreit ab. Der Markt erwartet deshalb die ersten weiteren US-Zinssenkungen erst gegen Jahresende (trotz des derzeit recht hohen Zinsniveaus von 4,25 %).
Ganz anders der Ausblick für die Eurozone: Die aktuelle Inflation ist auch hier aktuell recht tief (zuletzt nur mehr 2,2 % p.a.). Eine neuerliche Eskalation des Handelskriegs wäre für Europa aber klar inflationsdämpfend (solange Europa nicht selbst massive Zölle gegenüber dem Rest der Welt anhebt, was es offensichtlich nicht vorhat). 1.) wegen der schwächeren Konjunktur (weniger Exporte in die USA), 2.) durch den teureren Euro-Wechselkurs (Importe werden billiger), und 3.) durch die Umleitung billiger chinesischer Exporte von den USA nach Europa. Nach der nächsten Zinssenkung auf 2,0 % im Juni preist der Markt derzeit entsprechend weitere Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) auf rund 1,75 % bis zum Herbst.
Ausblick – Anleihemärkte
Staatsanleihen bleiben kurzfristig übergewichtet
Wir bleiben für Juni innerhalb des Anleiheportfolios vorsichtig aufgestellt:
Wir behalten unser Übergewicht von Euro-Staatsanleihen aus Kerneuropa (insbesondere Frankreich und Deutschland) sowie UK bei.
Im Gegenzug bleiben wir untergewichtet bei US-Dollar-Hochzinsanleihen und Schwellenländer-Hartwährungsanleihen.
High-Yield-Anleihen, und insbesondere solche aus den vom Handelskrieg am meisten betroffenen USA, sind aus unserer Sicht weiterhin am anfälligsten für (absehbare) konjunkturelle Enttäuschungen. Die jüngste Ausweitung der Renditeaufschläge kompensiert das noch nicht ausreichend. Daraus ergibt sich in Summe eine Untergewichtung des Blocks Unternehmensanleihen.
Ausblick – Aktienmärkte global
Rückschlaggefahr über den Sommer
Im Unterschied zu Anfang April, als der Aktienmarkt die Zoll-Eskalation überschätzte, übertreibt es der Markt inzwischen aus unserer Sicht in die andere Richtung: Zwar gehen wir weiterhin davon aus, dass die angedrohten (und ausgesetzten) Zölle nicht in vollem Umfang kommen werden (den daraus resultierenden wirtschaftlichen Schaden können sich Trump und Republikaner nicht leisten). Aber das US-Zollniveau wird definitiv höher bleiben als VOR dem 2. April. Schwächere Konjunkturdaten und (in den USA) höhere Inflationsdaten, sowie geringere Gewinnmargen bei vielen Firmen werden die Folge sein – eine absehbare Entwicklung, die uns auf den aktuell wieder hohen Aktienmarktniveaus nicht ausreichend berücksichtigt erscheint. Außerdem ist die Gefahr von Rückschlägen in den Verhandlungen mit EU und vor allem China recht hoch. Nicht die Katastrophe, vor der sich der Aktienmarkt Anfang April fürchtete, aber genug, um uns auf diesem Kursniveau weiterhin einen Schritt Aktienmarkt untergewichtet bleiben zu lassen. Wo wir dagegen mehr Potenzial für weitere kurzfristige Preisanstiege sehen, sind Edelmetalle (insbesondere Gold): Die Politik der US-Regierung wird zunehmen zu einer Belastung für den US-Dollar, und ein schwächerer US-Dollar war historisch ein starker Treiber für einen (noch) höheren Goldpreis. Schwächere US-Wirtschaftsdaten würden voraussichtlich zusätzlich helfen. Während wir das kurzfristige Risiko-/Ertragsverhältnis für den Aktienmarkt jetzt NACH dem Rebound entsprechend weiterhin für nicht allzu attraktiv halten, sehen wir beim Goldpreis gute Chancen auf eine Fortsetzung der Preisrallye. Entsprechend bleiben wir Aktien einen Schritt untergewichtet, aber jetzt im Juni vs. Edelmetalle.
Ausblick – Aktienmärkte regional
Selektive taktische Über- und Untergewichtungen
Kurzfristig (taktisch):
Europa bleibt untergewichtet, da wir auf der Makroseite mehr Potenzial in anderen Regionen erkennen und technisch/saisonal keine Unterstützung für Europa sehen. Schwellenländer (Emerging Markets bzw. EM) sind wir in Summe innerhalb der Regionen aktuell neutral und die leichte Untergewichtung in Nordamerika wird in eine leichte Übergewichtung (positiv für US-Small-Caps) gedreht.
Als Sektorpositionen haben wir aktuell Finanz vs. Energie und Südafrika vs. Immobilien-Aktien übergewichtet.
Mittel- und längerfristig erwarten wir unverändert, dass sich der Aktienmarktaufschwung verbreitert, wie die Outperformance von Europa und Emerging Markets im ersten Quartal bereits eindrücklich eingeläutet hat. Die Bewertungen sind im US-Technologiebereich jetzt nach dem Rebound wieder historisch teuer, während praktisch alle anderen Aktienmärkte normal (Europa) bis billig (EM/China) bewertet sind. Eine stärkere Streuung (geografisch, nach Sektoren und nach Größe) dürfte sich also 2025 – vor allem aber langfristig – lohnen.
Strategische Asset Allocation
Aktien
Anfang März 2024 haben wir bei Euro-Aktien und japanischen Aktien Gewinne mitgenommen und im Gegenzug chinesische Aktien neu in das Portfolio aufgenommen.
Wir halten Positionen in europäischen Aktien, Emerging-Markets-Aktien und japanischen Aktien. US-Aktien sind aus Bewertungsüberlegungen weiterhin unattraktiv.
Staatsanleihen
Wir haben bei Staatsanleihen in den letzten Jahren aufgrund der deutlich attraktiveren Ertragsaussichten markant zugekauft.
Nach den Renditeanstiegen Anfang November 2024 und Mitte Jänner 2025 haben wir erneut zugekauft. Anfang März haben wir Non-Euro-Zinsrisiko reduziert und Euro-Zinsrisiko aufgestockt.
Unternehmens- & EM-Anleihen
Ende Juni 2024 haben wir bei französischen Staatsanleihen zugekauft.
Nach deutlichen Spreadeinengungen in den letzten Quartalen haben wir Anfang März Unternehmensanleihen (Investmentgrade und High-Yield), italienische Staatsanleihen und Schwellenländer-Hartwährungsanleihen reduziert.
Reale Assets
Nach einem deutlichen Rückgang bei den Inflationserwartungen haben wir im August 2024 unsere Position in inflationsgeschützten Anleihen aufgestockt.
Im Bereich der Rohstoffe (Positionen über Derivate auf Rohstoffindizes) haben wir die tieferen Niveaus bei Industriemetallen im August 2024 für eine Aufstockung genutzt.
Taktische Asset Allocation Mai
- Wirtschaft:
− Frühindikatoren und CESIs leicht erholt, Unsicherheitslevel bleibt hoch
− In den USA wird Inflationsanstieg erwartet, Eurozone nahe am Zielwert
− Erwartung von EZB-Zinssenkung im Juni, FED-Schritt erst im zweiten Halbjahr
- Unternehmen:
− Jüngste Berichtssaison positiv und über Erwartung abgeschlossen
− Negativer Revisionstrend für Q2/2025 und Folgequartale hält an
− Leicht positives Gewinnwachstum für Gesamtjahr 2025 geschätzt
- Stimmung:
− Anlegerstimmung im Neutralbereich, keine Signale von Kontraindikatoren
− Marktbreite hat sich auf globaler Ebene zuletzt wieder merklich erholt
− Globale Aktien (Euro) testen technischen Widerstand an der 200-Tageslinie
- Spezialthemen:
− Geldpolitik;
− Geopolitik;
− US-Handelspolitik;
- Positionierung:
− Globale Aktien gegen Edelmetalle 1 Schritt untergewichtet
− Euro-Staatsanleihen neutral