Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 14.11.2025
Die Weltwirtschaft hat im dritten Quartal erstaunliche Widerstandskraft gezeigt. Trotz zahlreicher politischer und wirtschaftlicher Spannungen wuchs das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) leicht über dem erwarteten Potenzial. Doch der Übergang zu einer neuen geopolitischen und geoökonomischen Ordnung bleibt unvollendet – und damit das System anfällig für Schocks von außen und innen. An den Märkten herrscht ein Klima erhöhter Unsicherheit.
Während der globale Handelskonflikt bislang weniger stark durchgeschlagen hat als befürchtet, bleibt seine Wirkung zeitverzögert. Auch der jüngste KI-Investitionsboom (KI – Künstliche Intelligenz) kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die weltweite Konjunktur in einem fragilen Gleichgewicht befindet. Die Hoffnungen ruhen auf einem technologisch getriebenem Produktivitätswachstum, doch auch Risiken eines Überinvestitionszyklus mehren sich. Mehr und mehr kommt die Frage auf, ob die ambitioniert hohen Bewertungen rund um die KI-Größen durch ein entsprechendes Gewinnwachstum zu rechtfertigen sind. Kurz bevor die Hoffnungen auf ein Ende des „shutdowns“ in den USA die Aktienmärkte nach oben bewegten, nagten die Sorgen rund um Tech an der Performance.
In den Vereinigten Staaten klafft dagegen eine ungewöhnliche Lücke zwischen robusten Investitionen und schwächelndem Arbeitsmarkt. Während milliardenschwere Ausgaben für KI-Infrastruktur und Halbleiterproduktion die Industrie anheizen, deutet die Beschäftigungsentwicklung auf eine bevorstehende Abkühlung hin. Historisch gilt der Arbeitsmarkt als verlässlicherer Frühindikator für die Konjunktur – eine Entwicklung, die Ökonomen zunehmend aufmerksam verfolgen.
In der Eurozone zeigen sich trotz externer Belastungen vorsichtige Lichtblicke. Eine lockerere Fiskalpolitik, steigende Verteidigungsausgaben und robuste Arbeitsmärkte stützen die Binnenkonjunktur. Langfristig könnte mehr europäische Investitionstätigkeit helfen, die Abhängigkeit von Exporten zu verringern. Risiken bestehen in Frankreichs Haushaltslage und dem politischen Stillstand.
China wiederum steht vor einem Balanceakt. Nach einem kurzen Aufschwung schwächte sich die Konjunktur zuletzt wieder ab. Der Immobiliensektor bleibt ein Problem, ebenso wie hohe Schulden und eine demografisch bedingte Wachstumsverlangsamung. Peking reagiert mit gezielten geld- und fiskalpolitischen Impulsen, die 2026 zu einer moderaten Erholung führen könnten.
Die weltweite Inflation bleibt „sticky“. Besonders in den USA dürften die Folgen neuer Zölle die Verbraucherpreise weiter nach oben treiben. Noch ist unklar, wer die Kosten trägt – Konsumenten, Unternehmen oder ausländische Exporteure. Wahrscheinlich wird ein Großteil auf die Endpreise durchschlagen. Damit droht eine neue Runde moderater, aber hartnäckiger Preissteigerungen, während das Wachstum schwächelt – eine „Stagflation light“.
Die Zentralbanken agieren inzwischen vorsichtiger. Die US-Notenbank Fed hat ihre Bilanzreduktion gestoppt und den Leitzins zuletzt erneut gesenkt – offiziell als Schritt zur Absicherung der Konjunktur.
Noch trägt die Widerstandskraft der Weltwirtschaft. Doch sie steht auf dem Prüfstand. „Biegen, ohne zu brechen“ lautet das Motto – ob es gelingt, darüber werden die in der neuen Woche anstehenden Konjunkturdaten mehr Aufklärung bringen.
Die Woche voraus
Die Woche beginnt mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) für das 3. Quartal in Japan. Nach einem Anstieg im Vorquartal stellt sich der Konsensus der Volkswirte jetzt auf einen Rückgang ein. Der harmonisierte Verbraucherpreisindex für die Eurozone (final) steht am Mittwoch an. Dazu die für Donnerstag vorgesehene Veröffentlichung der US-Anträge auf Arbeitslosengeld. Der Schwerpunkt liegt auf dem Freitag: Neben der Entwicklung der Verbraucherpreise in Japan kommen das GfK-Verbrauchervertrauen für das Vereinigte Königreich, die HCOB-Einkaufsmanagerindizes für die Eurozone und deren Mitgliedsländer, sowie der S&P Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe in den USA. Mit einem Ende des Shutdowns stehen dann noch eine Reihe an US-Daten an, die zwischenzeitlich nicht veröffentlicht werden konnten.
Die technische Lage ist derweil nicht eindeutig. Was auffällt ist, dass die Relative-Stärke-Indizes für die großen Aktienindizes eine latent überkauft Situation anzeigen, während gleichzeitig auch die Marktbreite der Aufwärtsbewegung nachgelassen hat. Letzteres zeigen zumindest die Advanced-Decline-Indizes für die großen Märkte an. Sie setzen die Anzahl der gestiegenen Aktien einer Benchmark ins Verhältnis zur Anzahl der gesunkenen.
Am Ende geht es um Resilienz. Resilienz der Konjunktur, Resilienz der Märkte.
Resilienz wünscht Ihnen
Dr. Hans-Jörg Naumer