Das Glas füllt sich stetig

Allianz Global Investors

Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 12.12.2025

„Ist das Glas halb voll oder halb leer?“ Diese Frage soll in der Regel zeigen, welchen Einfluss grundlegende Einstellungen auf die Wahrnehmung haben – und das sogar, wenn es sich um objektiv neutrale Situationen handelt. Wir wollen hier versuchen, unsere eigenen grundlegenden Tendenzen so gut wie möglich zu ignorieren. Und dann ergibt sich unseres Erachtens: Kurz vor den Feiertagen gibt es für Europa im Rückblick auf 2025 eher Gründe zur Zuversicht als zur Sorge. Die Feiertage rücken näher, und man kann wohl sagen, dass sich das Glas für Europa ganz gut weiter füllt.

2025 hätte so einiges gründlich schief gehen können: Der Konflikt in der Ukraine ist und bleibt eine schwärende Wunde, Präsident Trumps Zölle waren ein schwerer Schock für die internationalen Handelsbeziehungen, die für viele Länder des Euroraums von großer Bedeutung sind, und die Wirtschaft des Euroraums befand sich zu Jahresbeginn nicht in der allerbesten Verfassung.

Ein Blick auf die jüngsten BIP-Zahlen für das dritte Quartal (BIP = Bruttoinlandsprodukt) zeigt jedoch immer deutlicher, dass der Euroraum diese Turbulenzen besser als befürchtet gemeistert hat. Das Wachstum war im dritten Quartal zwar alles andere als hervorragend, lag aber erneut über den Erwartungen. Das spricht für die These, dass die vergangenen Schocks abklingen und die zugrundeliegende Dynamik allmählich zunimmt. Das BIP legte um 0,3% gegenüber dem Vorquartal zu, also etwas kräftiger als im zweiten Quartal (0,1%). Dabei leisteten die Bruttoanlageinvestitionen (+0,9%), der Staatsverbrauch (+0,7%) und in geringerem Umfang auch der Konsum der privaten Haushalte (+0,2%) positive Wachstumsbeiträge. Die Binnennachfrage, die lange Zeit so enttäuschend ausfiel, ist inzwischen der wichtigste Wachstumstreiber. Der Außenbeitrag dämpfte das Wachstum im dritten Quartal um 0,2%-Punkte.

Von den größeren Volkswirtschaften verzeichnete Spanien das stärkste Wachstum (0,6%), gefolgt von Frankreich (0,5%), wobei Frankreich wohl nicht dauerhaft so kräftig expandieren dürfte. In Italien legte das BIP dagegen kaum zu (+0,1%), und in Deutschland stagnierte es (0,0%). Deutschland hat das Wachstum im Euroraum als Ganzes so lange Zeit gedämpft, dass die expansivere Fiskalpolitik im kommenden Jahr für willkommene Erleichterung sorgen sollte.

Dieses konstruktive Wachstumsumfeld schafft Klarheit für die Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) in der kommenden Woche. Im Vorfeld der Dezember-Sitzung in Frankfurt befindet sich die EZB ihrer Auffassung nach in einer „guten Position“. Die Inflation liegt nahe beim Zielwert – die Gesamtrate notiert bei 2,2% gegenüber dem Vorjahr, die Kernrate bei 2,4% –, das Wachstum entspricht in etwa der Trendrate, und die Arbeitsmarktsituation ist stabil. Vor diesem Hintergrund ist eine Zinssenkung zum jetzigen Zeitpunkt unwahrscheinlich. Der Rat wird sich wohl die Möglichkeit offen halten, die Zinsen Anfang 2026 zur Feinsteuerung zu senken, aber angesichts der günstigeren Prognosen nimmt die Wahrscheinlichkeit eines solchen Schritts ab.

Nachdem das BIP im dritten Quartal überraschend um 0,3% gegenüber dem Vorquartal gewachsen ist, dürfte die EZB ihre Wachstumsprognosen für 2025 von 1,2% auf 1,4% und diejenige für 2026 auf 1,2% anheben. Die Inflationsprognose für 2026 könnte auf 1,8% angehoben werden, weil der Energiepreiseffekt abklingt und das Emissionshandelssystem (ETS) angepasst wird. Insgesamt haben die geldpolitischen Verantwortungsträger – einschließlich derjenigen, die traditionell eine eher lockere Haltung einnehmen – jedoch signalisiert, dass bei kleineren Abweichungen vom Zielwert nicht unbedingt eingegriffen werden muss. EZB-Präsidentin Lagarde wird wohl erneut besonderes Gewicht auf Stabilität legen, die Wachstumsbelebung und die sinkenden Abwärtsrisiken erwähnen und sich nicht gegen eine Zinsanhebung aussprechen (die der Markt als nächsten Schritt eingepreist hat).

Die Woche voraus

In der kommenden Woche stehen außerordentlich viele Daten und Zentralbanksitzungen an, weil erstens nach dem US-Shutdown viele Datenveröffentlichungen nachgeholt werden und zweitens die Daten noch vor den Feiertagen bekanntgegeben werden sollen. In allen größeren Ländern werden die Vorabschätzungen der Einkaufsmanagerindizes Aufschluss darüber geben, ob das verarbeitende Gewerbe weiterhin mit den Auswirkungen der höheren Zölle zu kämpfen hat und dementsprechend hinter dem Dienstleistungssektor zurückbleibt, wo die Aktivität lebhafter ist.

In den USA werden die Beschäftigungsdaten für Oktober und November besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Marktteilnehmer rechnen mit einem leichten Anstieg der Beschäftigung im privaten Sektor und einer stabilen Arbeitslosenquote, wenngleich einige nicht öffentliche Quellen weiterhin auf einen Rückgang der Beschäftigung hindeuten. Außerdem stehen in der kommenden Woche die Einzelhandelsumsätze für Oktober an, die nach einem schwachen September wieder anziehen sollten. Darüber hinaus werden noch Daten zum Immobiliensektor sowie der VPI und die Kernrate des PCE veröffentlicht, wobei Letztere der Fed als Zielwert für die Inflation dient

Im Euroraum wird die EZB den Leitzins wohl unverändert lassen, und der ZEW-Index wird uns mehr über die Konjunkturdynamik verraten.

In Großbritannien dürfte die Bank of England im Gegensatz zur EZB den Leitzins um 25 Bp. senken. Ansonsten deuten die jüngsten Arbeitsmarktdaten auf eine Abschwächung des Beschäftigungsabbaus hin. Beim VPI dürfte die allmähliche Verlangsamung anhalten, und das Wachstum der Einzelhandelsumsätze wird wohl gedämpft bleiben.

In Japan wird die Bank of Japan die Zinsen wohl um 25 Bp. anheben und damit die äußerst langsame Normalisierung des Zinsniveaus fortsetzen. Die wichtigste Umfrage unter japanischen Unternehmen, der Tankan-Bericht, wird zum Wochenanfang veröffentlicht, und zum Ende der Woche folgen dann die VPI-Daten.

Wir wünschen Ihnen ein friedliches und erholsames Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr.

Sean Shepley
Senior Economist

Mit dieser Ausgabe von „Die Woche voraus“ verabschieden wir uns aus dem Jahr 2025, wünschen Ihnen frohe Weihnachten, ein gutes neues Jahr und freuen uns darauf, Sie am 9. Januar 2026 wiederzusehen.

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