TBF Artikel vom 26.09.2025
Man nehme ein Blatt Papier und falte es 50 Mal. Wie hoch wird der gefaltete Stapel? Die unglaubliche Antwort: 112 Millionen Kilometer. Etwa ¾ der Stecke von der Erde zur Sonne.
Das Geheimnis dahinter nennt sich exponentielles Wachstum und kommt wieder mal beim Thema Künstliche Intelligenz (KI) zur Sprache. KI ist längst zu einem selbstverständlichen Teil des Alltags geworden, so selbstverständlich wie einst das Internet. Ob im Büro beim Verfassen von E-Mails, beim Programmieren komplexer Programme oder zu Hause auf der Suche nach einem Kochrezept. Doch kaum jemand macht sich bewusst, welche enorme Rechenleistung und Strommengen dafür im Hintergrund notwendig sind.
Besonders das Training der sogenannten Frontier-Modelle, also marktführender Modelle von OpenAI und Meta, verschlingt Energie in bis dato nie dagewesenen Umfang. GPUs, Serverparks, Kühlsysteme und andere Hardware laufen auf Hochtouren. Analysen von Epoch AI zeigen, dass die Rechenleistung für das Training um das Vierfache pro Jahr wächst, während der Energiebedarf trotz Effizienzsteigerungen um etwa das Doppelte jährlich zunimmt. Man erinnere sich an das gefaltete Papier des Anfangs und sein exponentielles Wachstum (!). Zwar verbessern sich Hardware und Software kontinuierlich, etwa durch eine zwölfmal höhere Energieeffizienz in den letzten zehn Jahren oder durch Formate mit geringerer Komplexität, doch der Hunger nach Rechenleistung wächst schneller, als die Einsparungen aufholen können. Das Resultat ist ein kontinuierlich steigender Stromverbrauch, den Energieversorger weltweit deutlich spüren. So meldete Nextera Energy, der Versorger in Florida jüngst einen Rekordanstieg der Stromnachfrage, der sich nach Einschätzung des Unternehmens über Jahrzehnte fortsetzen wird.
Damit stellt sich die Frage, wie dieser wachsende Energiebedarf in Zukunft gedeckt werden kann. Immer wieder werden dabei neue technologische Ansätze wie sogenannte Small Modular Reactors, kurz SMRs, ins Spiel gebracht. Diese kleinen, modularen Kernreaktoren sollen demnach irgendwann eine flexible und zuverlässige Energiequelle für Rechenzentren darstellen. Auch Kernfusions-Start-ups erregen Aufmerksamkeit und wecken die Hoffnung auf eine neue Ära nahezu unbegrenzter Energie. Doch nüchtern betrachtet bleibt festzuhalten: Solche Technologien stehen noch in weiter Ferne. Neue nukleare Lösungen werden nach Angaben von Nextera frühestens ab 2035 in den Betrieb gehen, Erdgasprojekte, die bisher noch nicht in Bau sind, dürften nicht vor 2030 ans Netz gehen.
Kurzfristig entscheidend ist daher die Geschwindigkeit, mit der Energie in großem Maßstab verfügbar gemacht werden kann. Hier haben erneuerbare Energien wie Solar- und Windkraft sowie Batteriespeicher einen klaren Vorteil. Sie können innerhalb weniger Monate errichtet und ans Netz angeschlossen werden. Damit sind sie die einzige realistische Option, um den akuten Energiehunger der Rechenzentren kurzfristig zu stillen.
Allerdings stellt auch die reine Stromerzeugung nur einen Teil der Lösung dar. Genauso entscheidend ist die Frage, wie der erzeugte Strom an die Rechenzentren gelangt. Die bestehende Netzinfrastruktur ist in vielen Regionen bereits ausgelastet und nicht auf solch massive Lasten vorbereitet. Deshalb haben Versorger in den letzten Monaten ihre Investitionsprogramme signifikant aufgestockt. American Electric Power, der größte Netzbetreiber der USA, will seine Ausgaben voraussichtlich im Herbst von 54 auf 70 Milliarden US-Dollar und die spanische Iberdrola sogar um 75 Prozent gegenüber Vorperiode erhöhen.
Schon heute laufen gigantische Projekte, die die Dimension dieser Aufgabe verdeutlichen. Zwischen Spanien und Frankreich wird derzeit eine neue Stromverbindung durch die Biskaya-Bucht errichtet, um die Netze beider Länder enger zu koppeln und zusätzliche Kapazitäten für erneuerbare Energien zu schaffen. In Australien wiederum entsteht ein 255 Kilometer langes Unterseekabel, das Tasmanien mit dem Festland verbindet. Beide Projekte zeigen, dass es nicht nur um die Versorgung von Rechenzentren geht, sondern um die Erneuerung und Erweiterung von Netzen insgesamt, sei es für digitale Infrastruktur, für die Integration erneuerbarer Energien oder für die allgemeine Versorgungssicherheit.
Am Ende zeigt sich ein klares Bild: Künstliche Intelligenz ist längst nicht mehr nur ein Thema der IT-Branche, sondern auch der Energieversorgung. Der Bedarf wächst nicht nur stetig, sondern in einem Tempo, das die bisherigen Maßstäbe sprengt. Entscheidend sind nicht nur die Strommengen, sondern vor allem die Geschwindigkeit, mit der sie bereitgestellt und transportiert werden können. Denn es gilt: There’s no transition without transmission.