DJE Kapital AG - Marktmeinung Dr. Jens Ehrhardt vom 25.01.2022

„Europa wird stärker wachsen als Amerika“

Fallende Kurse an den Börsen versetzen Anleger in Sorge, einige sehen gar das Ende der goldenen Börsenjahre kommen. Dr. Jens Ehrhardt glaubt jedoch weiter fest an Aktien und sieht sogar neue Anlagechancen – ein Interview mit Matthias Schneider vom Münchner Merkur.

Herr Dr. Ehrhardt, die Werte der amerikanischen Indizes Nasdaq und S&P 500 sind seit Jahresbeginn auf Talfahrt, gleiches gilt für den deutschen Dax. Chartanalysten rechnen mit einem längerfristigen Trend. Teilen Sie diese Ansicht?

Nein, daran glaube ich nicht. Klar ist, dass die Kurse jetzt erstmal etwas sinken werden, weil die US-Notenbank Fed die Leitzinsen erhöhen und gleichzeitig die Anleihekäufe stoppen wird. Aber ich denke, dass Abschläge im Dax maximal gut zehn Prozent betragen werden und nicht 30, wie manche Analysten meinen. Denn Fed-Chef Jerome Powell hat dazugelernt: Im vierten Quartal 2018 hat er schon einmal nicht nur die Anleihekäufe gestoppt, sondern sogar Anleihen liquiditätsverknappend verkauft. Die Kurse sind damals um über 20 Prozent gefallen und er musste eine 180-Grad-Wende machen. Deshalb wird er diesmal besonnener reagieren. Dass er jetzt gleichzeitig die Kaufprogramme zurückfährt und die Zinsen erhöht, liegt am politischen Druck auf Joe Biden, der wegen der hohen Inflation von sieben Prozent sehr unbeliebt ist – und dieses Jahr sind in den USA Zwischenwahlen. Außerdem wurde jetzt zwei Jahre lang Geld in die amerikanischen Märkte gepumpt, aktuell liegen dort etwa zwei Billionen Dollar Überschusskapital bei den Banken. Das heißt, die Fed könnte leicht ein Jahr lang Anleihen abstoßen, bis wirklich zu viel Liquidität aus dem System fließt. Deshalb glaube ich, dass wir weit von den Krisen in den Jahren 2000 und 2007 entfernt sind.

Was bedeutet das für Europa?

Die EZB sagt zwar, sie möchte auf ein Inflationsniveau von zwei Prozent kommen, aber ich denke, dass sie auch mit drei Prozent leben kann. Grundsätzlich rechne ich mit einer Zinswende frühestens ab Mitte 2023. Grund dafür ist der große Einfluss der Mittelmeerstaaten und Frankreichs auf die EZB. Gerade die Franzosen haben großzügig Schulden gemacht, wodurch sich der Leitindex CAC doppelt so stark entwickelt hat wie der Dax. Deshalb profitieren sie von einer höheren Euro-Inflation, die die Schulden entwertet. Man muss aber dazu sagen, dass die Inflation maßgeblich durch eine Angebotsverknappung im Energiesektor zustande kommt und deshalb von allein wieder zurückgehen dürfte.

Was bedeutet das für Anleger, die ihr Depot in zwei Jahren veräußern wollen?

Ich denke nach wie vor, dass Aktien die beste Anlageform sind, weit vor Immobilien und festverzinsten Papieren. Aber man muss sehen, welche Titel man im Portfolio hat. US-Indizes werden von maximal zehn großen Aktien – oft amerikanische Tech-Werte – bestimmt. Wenn jetzt tatsächlich das Ende der Pandemie naht, würden sie den Internet-Schub verlieren. Außerdem zahlen sie fast keine oder wenig Dividende aus, wodurch Anleger und Fondsmanager veranlasst werden könnten auf preiswertere Titel umzusteigen. Interessanter sind derzeit Papiere von Banken oder Versorgern, die teilweise um die vier Prozent Dividende auszahlen. Aber auch Ölkonzerne sind derzeit niedrig bewertet. Einige davon satteln aktuell sogar auf Erneuerbare Energien um und sind damit auch langfristig spannend.

Und was gilt für langfristige Investoren, die etwa 20 Jahre lang sparen wollen?

Da wird Amerika durch mehr Kapital und geringere Restriktionen stärker sein als der Rest der Welt. Aktuell würde ich wegen der sehr hohen Bewertung aber nicht kaufen, sondern eher abwarten. Amerikanische Aktien haben etwa ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 22, in Deutschland sind es eher 15. Besser sind asiatische Titel, wo man viel Wachstum erwarten kann. Auch China ist gerade sehr preiswert, da muss man nur sehen, dass die Immobilienkrise mit Evergrande nicht aus dem Ruder läuft. Sicherer sind da japanische Titel: Die haben durch eine schwache Konjunktur jahrzehntelang gelitten und sind deshalb gerade ausgesprochen unterbewertet, was auch für die Währung gilt. Aber auch in Europa könnten wir zum ersten Mal erleben, dass die Indizes stärker steigen als in den USA: Durch den geschwundenen Einfluss der Bundesbank, die immer gebremst hat, haben wir in Europa niedrigere Zinsen und mehr neue Schulden als in Amerika. Das wird die Börsen antreiben.

Lohnt es sich jetzt, zyklische Titel wie Autobauer zu kaufen?

Mit Autobauern würde ich derzeit noch etwas warten, weil man nicht weiß, wie die Notenbank-Signale aus Amerika und die Umstellung auf die Elektromotoren wirken. Grundsätzlich würde ich jetzt eher defensiv mit Banken, Ölaktien, Versorgern und Telekommunikationsanbietern beginnen und später auf Konsum-Aktien umschichten.

Erneuerbare Energien gelten als Trend, derzeit haben diese Titel aber zum Teil Schlagseite.

Das liegt daran, dass die Leute im guten Glauben entsprechende Papiere gekauft haben, ohne auf die sehr hohe Bewertung zu schauen. Dazu gehören zum Beispiel einige dänische Aktien. Die sind jetzt wegen Lieferproblemen und der allgemeinen Corona-Sorge teilweise um die Hälfte gefallen. Langfristig sollte man das Thema aber nicht verpassen, weil es politisch so gewollt ist, dass es sich durchsetzt. Relativ preiswerte Aktien sind in diesem Bereich Batteriehersteller aus Asien, z.B. aus Südkorea.

Experten erwarten, dass Omikron das Ende der Pandemie bedeutet. Ist es jetzt Zeit für Schnäppchenkäufe im Tourismus?

Man muss sehen, dass bei einigen Papieren bereits die Hoffnung auf höhere Gewinne eingepreist ist. Sollte Corona in drei Monaten aber kein großes Thema mehr sein, werden auch die Papiere von Airlines, Hotels und Flughafenbetreibern stark steigen. Man muss aber sehen, dass Tourismus-Aktien traditionell stark verschuldet und sehr volatil sind, das heißt, es ist nicht gesagt, wann sie wieder hochkommen. Nicht nur die Chancen, auch die Risiken sind dabei überdurchschnittlich hoch, deshalb sollte man nicht zu viele kaufen.


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