Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 01.08.2025
Wir leben im Zeitalter der „Geoökonomie“. Dabei ist die Verwendung wirtschaftspolitischer Instrumente zur Erlangung machtpolitischer Ziele historisch betrachtet keine neue Entwicklung.
Selten aber dürften Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik in dieser Dichte an Ereignissen aufeinandergetroffen sein. Auswirkungen auf Ökonomien und Märkte bleiben da nicht aus.
Da wäre der alles dominierende, von den USA losgetretene, Handelskonflikt. Erste Einigungen zwischen den Handelspartnern wurden bereits erzielt, u.a. mit der Europäischen Union, weitere zeichnen sich ab. Insofern dürfte er von der Tagesaktualität in naher Zukunft zurücktreten. Was aber bleibt sind die ökonomischen Auswirkungen. Die → De-Globalisierung, die bereits seit 2008 mit einem einsetzenden Re- und Friendshoring bemerkbar wurde, erhält einen weiteren Schub. Die sich abzeichnenden durchschnittlichen Zollsätze auf Einfuhren in die USA führen zurück auf die Zeit vor dem 2. Weltkrieg, einer Zeit, als das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen („General Agreement on Tariffs and Trade“, GATT) als Vorläufer der Welthandelsorganisation WTO („World Trade Organisation“) einsetzte.
Da wäre die rund um den Globus zu beobachtende Remilitarisierung. Während Russland schon heute 7% der eigenen Wirtschaftsleistung für Militär ausgibt, haben sich die NATOPartner gerade auf ein 5%-Ziel zur Verteidigung geeinigt.
Das alles bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Staatsschulden. In Anlehnung an das alte Beitrittskriterium zur Europäischen Währungsunion, das eine Schuldenobergrenze von 60% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) vorsah, scheint jetzt zu gelten: „100 ist das neue 60“. Die USA, Japan und einige der Euroländer haben diese neue Marke bereits (oder zumindest fast, wie die USA) überschritten. Deutschland, als größte Ökonomie im Euroraum, könnte innerhalb der nächsten 10 Jahre auf die 80% zumarschieren, wobei die Entwicklung nicht nur vom Wachstum, sondern auch von der Zinslast abhängt.
Wodurch verständlich wird, warum die Geldpolitik zumindest in den USA in den Blickpunkt der Politik gerät.
Niedrigere Zinsen sollen gut für die Konjunktur sein und gleichzeitig die Refinanzierungslast verringern – so die Logik. Nicht zu vergessen: Die Geldpolitik soll gleichzeitig auch noch die Preise stabil halten und den Arbeitsmarkt (zumindest, was die US-Zentralbank Federal Reserve Fed betrifft) beflügeln. Ein klarer Verstoß gegen das Tinbergen-Prinzip. Zurückgehend auf den niederländischen Ökonomen und Nobelpreisträger Tinbergen besagt dieses Prinzip, dass man mit einem Instrument (Geldpolitik) auch nur ein Ziel effektiv ansteuern kann. Was also soll die Geldpolitik erreichen? Stabile Preise, Konjunktur- und Arbeitsmarktförderung oder niedrige Refinanzierungskosten?
Und das alles in einem Umfeld, in dem die Weltwirtschaft an Dynamik verloren hat. Unser proprietärer Makro-BreitenIndikator sank, wobei alle wichtigen Volkswirtschaften Schwächen zeigten. Die Daten aus den USA verschlechterten sich bereits den fünften Monat in Folge, begleitet von jüngsten Anzeichen einer Abschwächung in der Eurozone, Japan, Großbritannien und China. Die globalen Inflationsdaten gingen erneut leicht zurück, ein Trend, der sich im Laufe des Sommers wahrscheinlich umkehren wird, da sich höhere Zölle mit einer gewissen Verzögerung auf die Preise auswirken könnten.
Kein leichtes Umfeld, weder für die Geldpolitik noch für die Anleger.
Die Europäische Zentralbank (EZB) ließ ihre Zinsen im Juli unverändert. Die Lohnentwicklung verläuft unterhalb der EZB-Prognosen, während die Inflation bis 2026 unter der 2%-Marke bleiben dürfte, was ihr freie Hand für weitere Leitzinssenkungen ließe.
Auch die Fed dürfte weiter aus der Deckung gehen. Der USArbeitsmarkt zeigt klare Schwächesignale, was zu Zinssenkungen der Fed führen dürfte. Die befürchtete Belastung durch Zölle – etwa durch den US-EU-Handelskonflikt – sollten zum Teil von den Importeuren abgefedert werden, aber es führt kein Weg daran vorbei: Was nicht abgefangen wird, wird auf die US-Konsumenten überwälzt.
Während die Friedensdividende aufgezehrt ist, sorgen die Rüstungsausgaben und die Ausgabenpakete für Infrastruktur für einen Konjunkturschub, woran nicht zuletzt die neuen Schuldenregeln für Deutschland erinnern, aber auch das deutlich angehobene NATO-Ziel.
Spannend wird es bei der Glaubwürdigkeit der Fed-Geldpolitik. Je stärker sie in das Fahrwasser politischer Ziele gerät, desto stärker leidet diese – was nicht ohne Konsequenzen für die Inflationserwartungen bleiben sollte. Ist diese angekratzt, kann der Schuss nach hinten losgehen. Darin erinnert nicht zuletzt der jüngste, abrupte Renditeanstieg, als es um eine mögliche Entlassung von Jerome Powell ging. Niedrigere Leitzinsen können also durchaus zu höheren Anleiherenditen führen, und damit zu steigenden Refinanzierungslasten des Staates! Wenn dann auch noch die eigene Währung darunter leidet, wird es umso unattraktiver für ausländische Investoren, einen Staat mit steigenden Defiziten und abwertender Währung zu refinanzieren. Die Auswirkungen der Geldpolitik, bzw. ein Unterspülen ihrer Glaubwürdigkeit, sollte am US-Dollar nicht spurlos vorrübergehen. Die Schwächung, welche er über die letzten Wochen erleiden musste, sind ein beredtes Beispiel dafür.
Das legt folgende taktische Allokation für Aktien und Anleihen nahe:
- Bei den Aktienmärkten macht sich ein Lotuseffekt bemerkbar: Schlechte Nachrichten bleiben nicht haften. Aktienmärkte können Risiken auch eine ganze Weile ignorieren, zumal jetzt erst einmal die Einigungen beim Handelskonflikt für gute Stimmung sorgen sollten. Eine sich abzeichnende Verschlechterung des Wachstums- /Inflationsmix in den USA legt dann bei Aktien taktisch Vorsicht nahe. Es heißt also, hart am Wind zu fahren.
- Aufgrund des Bewertungsaufschlags bei US-amerikanischen Aktien besteht hier wenig Puffer bei Abwärtsrisiken.
- Europäische und asiatische Märkte erscheinen attraktiver als die US-amerikanischen Pendants, ob sie sich allerdings dauerhaft von möglicherweise korrigierenden US-Aktien abkoppeln können, ist fraglich.
- In Anbetracht gestiegener Inflationsrisiken, nicht zuletzt vor dem Hintergrund steigender Zölle, aber auch weil es – mit Blick auf die Unabhängigkeit der Fed – zu Unsicherheiten kommen kann, sollten sich Anleger auf wieder steiler werdende Zinsstrukturkurven in den meisten Industrieländern einstellen.
- Internationale Investoren dürften auch das Risiko eines weiter schwachen US-Dollars im Blick behalten, der an der Performance nagt. Nicht auszuschließen, dass der Status des US-Dollar als Reservewährung längerfristig gefährdet wird.
Positive Rendite auch in Zeiten anstrengender Geoökonomie, wünscht.
Dr. Hans-Jörg Naumer
Director, Global Capital Markets & Thematic Research