Amundi Artikel vom 05.11.2025
Die jüngste Ausgabe des Amundi CIO-Update widmete sich der Frage, wie Geopolitik und Märkte zusammenhängen und was das konkret für Anleger bedeuten kann. Mit Anna Rosenberg, Head of Geopolitics am Amundi Investment Institute, referierte eine ausgewiesene Expertin über die aktuelle Situation. Im ausführlichen Interview erläutert sie, welche Risiken bestehen, aber auch, welche Chancen sich für Investoren 2026 bieten könnten.
Frau Rosenberg, Sie sind geopolitische Analystin. Was bedeutet das konkret?
Zusammen mit meinem Team analysiere ich geopolitische und politische Trends sowie Entscheidungen in Bezug auf deren Wirkung auf die Märkte. Das muss meist sehr schnell gehen, wie etwa bei den aktuellen Sanktionen der Trump-Regierung gegen Russland. Oft sind solche Prozesse dynamisch und im Fluss, weshalb wir bevorzugt in Szenarien denken und diese dann nach ihrer Wahrscheinlichkeit gewichten. Um geopolitische Trends zu analysieren, verwenden wir auch quantitative Modelle, ähnlich wie Volkswirte. Nur eben im Bereich der Geopolitik, der in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat.
Wie würden Sie den aktuellen Status der geopolitischen Ordnung beschreiben?
Der übergeordnete Megatrend ist der einer multipolaren Welt. Und leider steht Multipolarität in politischen Systemen für eine relativ hohe Instabilität. Das sehen wir an vielen aktuellen politischen und wirtschaftlichen Friktionen. Etwa in Folge der angespannten Beziehungen zwischen den USA und China, aber auch wegen der international hohen Staatsverschuldungen. In Summe haben wir ein eher fragiles geopolitisches Klima, das 2026 sogar noch etwas schlechter werden könnte.
Sie sprachen den Konflikt zwischen den USA und China an. Wie könnte sich das Verhältnis perspektivisch entwickeln?
Historisch entwickelten sich wegen der Rivalität zwischen Groß- oder Supermächten oftmals Kriege – oder zumindest Stellvertreterkriege und politisch oder militärisch brisante Situationen. Im Falle des aktuellen Wettstreits zwischen den USA und China rechnen wir zwar auch mit einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen, aber mit keiner Eskalation. Denn es bestehen wechselseitige Abhängigkeiten, die zu einer „stabilen Unsicherheit“ führen dürften. China hat Interesse daran, dass der Welthandel weiter umfassend möglich bleibt. Und die USA sind auf die Seltenen Erden Chinas angewiesen. Deshalb erwarten wir für 2026 trotz der Verschlechterung noch vereinzelt taktische Deals, aber keinen großen Handelsabkommen zwischen den beiden Supermächten – dafür ist das gegenseitige Vertrauen derzeit nicht ausreichend.
Könnte es zwischen den USA und Russland zu Annäherungen kommen, die auch zu einem Ende des Kriegs in der Ukraine führen würden?
Ich bin skeptisch, dass der Krieg in Europa bald zu Ende geht. Trumps Einfluss auf Russland ist deutlich kleiner, als beispielsweise der in Nahost. Wie die neuen Sanktionen auf die russische Wirtschaft wirken, dürfte sich erst in Monaten zeigen. Und ob der Druck dann zu einem völligen Umdenken bezüglich des russischen Kriegskalküls führt, bleibt fraglich. Zumal Russland immer noch sehr effektiv darin ist, seine Energieressourcen auf den Markt zu bringen.
Viele Länder versuchen derzeit, ihre Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern. Ist dessen Funktion als Reservewährung noch intakt?
Es ist zwar Konsens, dass diese Diversifizierung global stattfindet und der Dollar auch perspektivisch schwächer bleiben wird. Doch, das könnte zum einen ganz im Sinne Trumps sein, der damit US-Waren auf dem Weltmarkt konkurrenzfähiger machen würde. Zum anderen wird der unbestreitbare geopolitische Machtverlust, der in der Dollarabwertung auch zum Ausdruck kommt, die Dominanz des US-Dollars als Weltwährung kaum gefährden.
Belastet diese Emanzipierung vieler Staaten von den USA den Welthandel?
Ich denke nicht, dass wir da substanzielle Einbrüche sehen werden: Wir stellen derzeit keine explizite De-Globalisierung fest, eher eine Differenzierung der Handelsströme nach dem Motto: Wo das Alte zerbricht entsteht Neues. Diese Entwicklung birgt auch wirtschaftliche Chancen.
Wie sehen Sie da Europa aufgestellt?
Als geopolitische Macht hat Europa hinsichtlich der natürlichen Ressourcen und der militärischen Macht keine herausragende Stellung. Bei den politischen und wirtschaftlichen Partnerschaften sind wir aber immer noch mit führend. Zudem haben es die EU-Politiker geschafft, dass Trump sich trotz der offensichtlichen geopolitischen Schwäche Europas mit den europäischen Interessen identifizieren kann. Das ist ebenso positiv wie die Bereitschaft, stärker in Rüstung zu investieren und Reformen anzugehen. Das politische Momentum ist also verändert, allerdings braucht alles in Europa etwas mehr Zeit als anderswo.
Was lässt sich aus dem Gesagten konkret für Anleger ableiten?
Investoren sollten sich weiter auf größere Unsicherheiten und Volatilitäten an den Märkten einstellen. Die Sektoren Rüstung und KI werden geopolitisch weiter angetrieben. Auch dürften die Staatsausgaben mittelfristig hoch bleiben, was eventuell auch das Thema Inflation wieder zurückbringen könnte. Diversifikation bleibt demnach sehr wichtig. Neue Handelsströme und auch Handelsabkommen sollten auch 2026 attraktive Chancen bieten, die Anleger aktiv nutzen könnten. Ein dann neues Risikoprofil im Portfolio könnte etwa mit Gold oder anderen defensiven, wenig korrelierten Anlageklassen ausbalanciert werden.