Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 07.11.2025
Sam Altman, ein Mitgründer von OpenAI und damit ein Wegbereiter für ChatGPT, sieht die Menschheit nach den Zeitaltern der Landwirtschaft und Industrialisierung auf dem Weg in ein Zeitalter der Intelligenz. Treiber dieses Weges ist wie gewohnt technologischer Fortschritt, der allerdings durch maschinelles Lernen in eine neue Dimension katapultiert wird.
Auch auf den Kapitalmärkten haben sich Vermögensgegenstände im Dunstkreis Künstlicher Intelligenz (KI) buchstäblich in eine eigene Umlaufbahn geschossen. Sie bestimmen den Herzschlag insbesondere des amerikanischen und chinesischen Aktienmarktes. Auch volkswirtschaftlich spielt Technologie derzeit eine Hauptrolle. Schaut man sich die Zusammensetzung des amerikanischen Wachstums im ersten Halbjahr dieses Jahres genauer an, entfällt ein Großteil des amerikanischen Wachstums (ca. 1.3% von insgesamt 1.6%, also rund 80% des Wachstums) auf technologie- und software-bezogene Investitionen.
Es ist daher an der Zeit, die Zukunftsaussichten von Technologie und Künstlicher Intelligenz etwas näher zu betrachten. Für eine Fortsetzung des Booms sprechen unter anderem diese Aspekte:
- Es gibt weiter genug KI-„Erfolgsgeschichten“: Nutzerzahlen steigen, immer mehr Unternehmen wenden KI an, mehr und mehr menschliche Fähigkeiten werden von Maschinen gleich gut oder sogar besser erbracht.
- Kein Überangebot: Trotz dynamischen Ausbaus besteht derzeit kein Überangebot an Rechnerkapazitäten in Datenzentren. Kunden müssen warten und die Ware Rechenleistung wird rationiert.
- Beständige Finanzierungsquellen: Das Kapital für den aggressiven Ausbau von Datenzentren und dazugehöriger Stromversorgung kommt zugroßen Teilen aus den erwirtschafteten Barmitteln einiger weniger allseits bekannter Technologie-Großkonzerne, die oft in oligopol- oder monopolartigen Marktstrukturen operieren. Die Finanzierung des KI-Ausbaus ist also weniger stark abhängig vom Risikoappetit von Spekulanten und Risikokapitalgebern als in der Vergangenheit. Unlimitiert steht das Kapital jedoch nicht zur Verfügung – die Aktionäre der Tech-Großkonzerne erwarten weiterhin hohe Kapitalrenditen.
- Die Bewertungen der Aktien von Unternehmen mit KI-Affinität sind hoch, aber nicht an historischen Extrempunkten.
Auf erste Überhitzungstendenzen deuten folgende Punkte:
- Historisch neigen Sektoren an der Speerspitze technischer Umwälzungen zu Überinvestitionen – nach einer Phase stark steigender Investitionen und Kapazitäten folgt eine zwischenzeitliche Phase der Ernüchterung, in der zu geringe Erlöse für die Bedienung der Investitionskosten erzielt werden. Investitionen werden nicht mehr ökonomisch rational kalkuliert, sondern folgen der Angst, Chancen zu verpassen und dem Druck des Zeitgeistes. Die Wahrscheinlichkeit, eine solche Phase auch in diesem Innovationszyklus zu durchleben erscheint erhöht. Trotzdem dürfte der Innovationssprung langfristig enorme Wohlstandsgewinne bedeuten.
- Das Ökosystem KI erinnert zunehmend an ein intransparentes Geflecht teilweise gegenseitiger Kapitalbeteiligungen, Kunden- und Lieferantenbeziehungen. Daraus könnten Probleme wie mangelhafte Kontrolle und Interessenkonflikte resultieren.
Letztlich lässt sich nicht sagen, ob und wann Phasen der Euphorie und des Aufbruchs in ein „Intelligenzzeitalter“ in zwischenzeitliche Ernüchterung übergehen. Spezifisches Wissen, auf welchen Gebieten Kapazitäten weiter knapp sind, und wo sich Sättigungstendenzen bemerkbar machen, dürfte entscheidend sein. In der Vergangenheit haben sich Investitionsbooms dann zurückgebildet, wenn Kapitalrenditen rückläufig sind und Investoren nur noch zögerlich neues Geld zur Verfügung stellen wollten (also die Kapitalkosten steigen). Für eine solche Entwicklung gibt es derzeit wenig Anzeichen, sodass Teilhabe am Intelligenzzeitalter weiter lohnend erscheint.
Dominanz basiert auf steigenden Gewinnerwartungen
Selbstverständlich gibt es auch jenseits von Technologie und KI spannende Entwicklungen und Chancen. Daher nachfolgend einige Gedanken zur weltweiten taktischen Allokation für Aktien und Anleihen:
- Nicht nur der amerikanische Aktienmarkt bietet Chancen. So generiert der Schwellenländer-Aktienindex MSCI Emerging Markets wieder Zuflüsse. In Kombination mit einer mehrheitlichen Untergewichtung in globalen Portfolien sind Zuflüsse eine gute Zutat für eine Aufholbewegung. Diese ist in Märkten wie Korea oder Taiwan in vollem Gange. In Asien profitierte zudem zuletzt Japan von politischen Weichenstellungen in Richtung weniger fiskalischer Konsolidierung und vorsichtigerer bzw. späterer Normalisierung der immer noch sehr expansiven Geldpolitik.
- In Europa nähern wir uns in Deutschland der tatsächlichen Umsetzung des fiskalischen Stimulus im nächsten Jahr. Die Märkte in Südeuropa wie Spanien und Italien profitieren von ihrem hohen Gewicht in Bankaktien. Dieser Sektor vereint eine anhaltend robuste Ertragslage, ausreichend gute Kreditqualität, hohe Rückflüsse an Aktionäre durch Dividenden und Aktienrückkäufe und eine immer noch annehmbare Bewertung. Dagegen könnte der französische Aktienmarkt mittelfristig weiter von der politischen Unsicherheit in Mitleidenschaft gezogen werden.
- Dies gilt auch für französische Staatsanleihen. Die zukünftige Haushaltspolitik in Frankreich bleibt weiter im Unklaren. Die Haushaltspolitik bleibt auch in Großbritannien ein Unsicherheitsfaktor, was auf beiden Staatsanleihemärkten für Volatilität sorgen dürfte.
- Auch der US-Staatsanleihenmarkt bleibt schwierig zu navigieren. Nach den Verwerfungen rund um den 2. April (der Tag der Zollankündigungen durch US-Präsident Donald Trump) konnte sich der Markt beruhigen und die 10jährige Rendite hat sich von oben der 4%- Marke angenähert. Zuletzt sind die Renditen jedoch wieder etwas gestiegen, nachdem einige US-Notenbanker die Hoffnung auf weitere schnelle Zinssenkungen gebremst hatten. Eine neutrale Allokation erscheint für US-Treasuries daher derzeit ausreichend.
- Der US-Dollar bleibt als „sicherer Hafen“ herausgefordert. Während sich taktisch auch eine Gegenbewegung ergeben könnte, sollten die strukturellen Vorzeichen (Geld- und Handelspolitik, Verschuldung der USA) auf längere Sicht negativ auf ihm lasten.
Lassen Sie uns das „Zeitalter der Intelligenz“ trotz aller Umbrüche mit ein wenig Zuversicht erwarten.
Dies wünscht Ihnen
Stefan Rondorf