Flossbach von Storch Marktkommentar Q3/2025
Wenn man sich den fundamentalen Wachstumsbeitrag anschaut, erscheint es plausibel, dass die Aktienmärkte, getrieben von den Tech-Giganten, auf Rekordständen notieren. Dennoch werden die mahnenden Stimmen lauter. Befinden wir uns also bereits in einer KI-Blase, oder ist der Hype gerechtfertigt?
Die Antwort dürfte zweigeteilt ausfallen: Es kommt darauf an. In Teilen des Marktes werden Unternehmen zu Bewertungen gehandelt, die nur durch sehr optimistische Zukunftserwartungen erklärbar sind. Venture Capital fließt gleichzeitig in junge Startups, oft ohne erprobtes Geschäftsmodell. Auch partielle Euphorie mit Kurssteigerungen trotz schwacher Fundamentaldaten lässt spekulative Motive dominant erscheinen. Fundamental liefern viele KI-Pilotprojekte in Unternehmen bislang außerdem nicht den erhofften wirtschaftlichen Nutzen, wodurch die Kluft zwischen Potenzial und realer Umsetzung sichtbar wird – einerseits.
Andererseits erzielen die etablierten Tech-Giganten mit sauberen Bilanzen bereits heute massive Gewinne in der KI-Wertschöpfungskette, was ihre Börsenbewertungen untermauert. Der Einsatz von KI hat zudem transformative Wirkung in der Kreativbranche und etabliert sich in Bereichen der Medizin, was wiederum eine nachhaltige Nachfrage sichert.
Wie zu Beginn des Internets
Es bestehen kaum Zweifel daran, dass die Weiterentwicklung Künstlicher Intelligenz bahnbrechende Neuerungen mit sich bringen wird. Fortschritt hat kein Verfallsdatum. Es gilt aber auch, dass zukunftsfähige Technologien keine zukunftsfähigen Investments sein müssen. Die Parallelen zur Anfangszeit des Internets scheinen offensichtlich. Auch ein endogener KI-Geldkreislauf, der von den Börsen gefeiert wird, mahnt Investoren, einen kühlen Kopf zu bewahren, denn zunächst erhöht dieser Geldkreislauf lediglich den Einsatz. Von weit verbreiteten Bewertungsexzessen und leeren Unternehmenshüllen, die nur auf zukünftige Narrative handeln, sind wir aber weit entfernt.
Aus Anlegersicht ist es dennoch notwendig, dem Thema differenziert zu begegnen. Denn manche Fragen lassen sich heute nur mit größter Unsicherheit beantworten: In welchen Disziplinen werden OpenAI oder Anthropic (oder ein anderes KI-Unternehmen) in zwei Jahren jeweils vorne liegen? Welche Zahlungsbereitschaft werden Kunden für noch nicht existierende Dienstleistungen haben? Welche KI-Chips werden unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten für die dann notwendigen Rechenoperationen in fünf Jahren am besten geeignet sein? Was bedeutet das für die Marktanteile der aktuellen Marktführer?
Szenarioanalysen statt Punktprognosen
Die Unternehmensanalyse sollte sich deshalb auch nicht auf eine Punktprognose der zukünftigen Ertragsentwicklung beschränken, sondern unterschiedliche Szenarien und die dazugehörigen Eintrittswahrscheinlichkeiten berücksichtigen. Damit lässt sich ein fundierteres Bild der Chancen und Risiken und somit der Unsicherheit erhalten.
Je größer die Unsicherheit, desto wahrscheinlicher ist es, dass sich ein Aktienkurs eben nicht nur verdoppeln, sondern womöglich halbieren kann. Anders formuliert: Nicht alles, was heute heiß gekocht wird, wird zukünftig noch heiß gegessen. Es gilt deshalb, eine realistische Einschätzung der Geschäftsaussichten jedes Unternehmens, der möglichen Szenarien und der damit verbunden angemessenen Bewertung vorzunehmen. Denn Zeiten, in denen sich mit Narrativen und „FOMO“ (der „Fear of Missing Out“ – der Angst, etwas zu verpassen) vermeintlich einfach Geld verdienen lässt, sorgen früher oder später immer für ein unangenehmes Erwachen.
Diversifikation im Aktienportfolio
Es gibt aber auch gute Nachrichten für Aktienanleger: Es wird stark differenziert am Aktienmarkt. Und zwar nicht nur zwischen mutmaßlichen KI-Gewinnern und KI-Verlierern. Auch bei Geschäftsmodellen, die langweilig scheinen und die in der Anlegergunst aktuell nicht besonders hoch im Kurs stehen. So sind beispielsweise die Bewertungen nicht-zyklischer Konsumtitel auf einem Zehnjahrestief. Auch hier gilt es, die idiosynkratischen Risiken bestmöglich abzuschätzen – die Szenariobreite der zukünftigen Geschäftsentwicklung ist bei diesen Unternehmen aber vergleichsweise leichter zu prognostizieren. Insofern rückt die Frage nach der angemessenen Bewertung für ein eher geringes, dafür aber relativ planbares Wachstum in den Vordergrund.
Dementsprechend erscheint „der Aktienmarkt“ im Durchschnitt weiterhin nicht zu teuer. Dass es bei temporär „ungeliebten“ Aktien wenig positive Nachrichten braucht, um eine Neubewertung in der Anlegergunst zu erreichen, hat nicht zuletzt der Kursanstieg der Pharma-Aktien angesichts der Ankündigung des Zoll-Deals zum Quartalswechsel illustriert.