Loys Capital Kolumne vom 09.03.2021

Privatanleger entdecken Aktien

Seit einiger Zeit ist ein Zustrom privater Anleger an die Aktienmärkte zu beobachten. Es handelt sich um ein weltweites Phänomen, das mittlerweile auch in Deutschland registriert wird. Per se ist das eine wünschenswerte Entwicklung, denn langfristiger Vermögensaufbau gelingt vornehmlich durch die Beteiligung an der Wertschöpfung der Wirtschaft.

Mancherlei Umstände haben das stark angestiegene Interesse der Bevölkerung und vor allem junger Menschen (übrigens überwiegend männlich) an der Börse begünstigt. Da ist zunächst die beachtliche Börsenhausse seit März 2009, also im direkten Anschluss an die große Finanzkrise.

Ihrerseits wurde die starke seitherige Aufwärtsentwicklung an den Weltbörsen durch die Niedrigzins-, anschließend Nullzins- und schließlich Negativzinspolitik der Notenbanken befeuert. Ohne Zweifel sorgen die inzwischen vielerorts eingeführten Verwahrentgelte, die im Volksmund Negativzinsen heißen, für ein wachsendes Interesse an Alternativen zur vormals überbeliebten Zinsanlage. Damit ist jedoch noch nicht das hervorstechende Engagement gerade junger Menschen an der Börse erklärt. Hier mögen die technologischen Entwicklungen der letzten Jahre eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der Besitz von internetfähigen Mobiltelefonen ist heutzutage ubiquitär. Junge Leute ohne Smartphone sind schlechterdings nicht mehr vorstellbar.  Entsprechend einfach ist der werbliche Zugang zu der jungen Generation, die am Internet hängt, wenn nicht gar abhängig von ihm ist. Datenschutz mag als formale Trennwand bestehen. Faktisch liegen die persönlichen Daten der Mobiltelefonbenutzer weitgehend offen. Dadurch gelingt es Werbetreibenden heute wesentlich besser, ihre Zielkundschaft recht individuell und in Massen anzusprechen. Die Verrichtung der meisten täglichen Aufgaben durch Mobilfunkapplikationen (kurz Apps) steigert Arbeitsproduktivität und senkt Hemmschwellen. Angesichts der Leichtigkeit, mit der heute Börsengeschäfte über das Mobiltelefon getätigt und nachverfolgt werden können,  findet die junge Generation einfachen Zugang zu einem vormals durch Finanzinstitutionen exklusiv bearbeiteten Bezirk der Wirtschaftswelt. Obendrein ist es den Fintechs gelungen, der Börse einen erregenden Sport-, Spiel- und Spaßcharakter beizugeben, denn das Börsengeschehen ist sui generis spannend. Man spricht in diesem Zusammenhang  von `Gamification`.

Es mag noch ein weiterer kultureller Aspekt hinzutreten. André Kostolany, ein ehemaliger Börsenspekulant mit hervorstechendem Esprit, hatte einmal gesagt: „Wer kein Geld hat, muss spekulieren, wer etwas Geld hat, kann spekulieren, und wer viel Geld hat, darf nicht spekulieren.“

Junge Leute haben naturgemäß wenig Geld, weil sie am Anfang ihres Erwerbslebens stehen. Dafür besteht ihr Vermögen i.d.R. in Qualifikation, Ambition und Zeit. Bedenkt man zusätzlich, dass die jungen Leute vom Staat angesichts unvorteilhafter Demographie und exzessiver Verschuldung langfristig wenig Materielles erwarten dürfen, dann wird klar, warum die Teilnahme an Börsenspekulationen für sie sehr reizvoll ist.

Apropos Staat: Unser Gemeinwesen beteiligt sich asymmetrisch an der Börsenentwicklung. Kursgewinne werden sogleich an der Quelle besteuert (nach wie vor samt Solidaritätszuschlag!), Dividenden werden als Unternehmensgewinn und beim Anleger doppelbesteuert, aber Kursverluste erkennt das Finanzamt nur begrenzt an.

Im Ganzen ist schließlich darauf hinzuweisen, dass Aktienanlage ein Expertenthema ist und mancherlei finanzielle Gefahren birgt. Wie in den meisten anderen Gewerken sind Wissen und Erfahrung durch nichts aufzuwiegen und keineswegs durch Internetforen zu ersetzen.

Daher bleibt zu hoffen, dass die aktuelle Euphorie unter Privatanlegern nicht ähnlich endet, wie es beim letzten Mal, nämlich während der großen Neue Markt bzw. Dot.com Orgie. Dem verkümmerten Finanzplatz Deutschland wäre es sehr zu wünschen.

Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns


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