Loys Capital Kolumne vom 29.12.2020

Lungenpest und Börsenkapriolen

Ein turbulentes Börsenjahr befindet sich auf der Zielgerade. Es wird als Jahr der Lun­genpest, die unter dem wissenschaftlichen Namen SARS-CoV-2 firmiert, in die Ge­schichtsbücher eingehen. Dass schwere Krisen mitunter große Veränderungen mit sich bringen, liegt in der Natur der Sache.

Die Abwahl Donald Trumps in den Vereinigten Staaten von Amerika mag politisch die wichtigste Konsequenz der Corona-Pandemie sein. Denn noch zu Anfang des Jahres sprach vieles für eine Wieder­wahl des großen Disrupteurs.

Auch das Zustandekommen eines BREXIT-Vertrages mag zum Teil dem zusätzlichen Druck geschuldet sein, der durch das Wüten der Seuche entstanden ist. Erst die Zu­kunft wird zeigen, ob der durch den Austritt aus der Europäischen Union entstan­dene Souveränitätsgewinn den hohen Preis Wert war, den die Briten zu zahlen wil­lens waren.

Deutschland wird um eine Diskussion um die politischen Folgen aus der Virus­ Epidemie nicht herumkommen. Die bereits vernehmlich gewordenen Stimmen wün­schen sich mehr Zentralis­mus und Kollektivismus, während unser Grundgesetz aus guten Gründen Föderalis­mus und Individualrechte ver­ankert hat. Die Krise lässt aber mittlerweile fraglich  erscheinen, ob das Grundge­setz tatsächlich noch die oberste Richtschnur allen staatlichen Handelns hierzulande ist.  Denn  die  Geldvermehrungspolitik der Europäi­schen Zentralbank beein­trächtigt die Haushaltssouve­ränität der Bundesrepublik erheblich. Wenn aber der Eu­ropäische Gerichtshof in Lu­xemburg das letzte Wort zum Gebaren der EZB spricht, wie es von den meisten Politikern gefordert wird, dann ist das Grundgesetz, mit dem wir in den letzten Jahrzehntenten­ denziell gute Erfahrungen gemacht haben, ausgehöhlt. Dabei ist stets zu bedenken, dass Europa bislang keine ei­gene Verfassung besitzt.

Was die staatliche Krisenbe­kämpfung angeht, so hält man in den europäischen Hauptstädten die Blaupause aus der großen Finanzkrise für maßgebend, Abschaffung positiver Realzinsen, Aus­weitung der Geldmenge und Finanzierung der Mitglieds­staaten durch den Kauf ihrer Staatsanleihen. Diese Rezep­tur ist als 'finanzielle Repression' in das Wörterbuch der Finanzmärkte aufgenommen worden. Staatliche Konjunktur- und Unterstützungspro­gramme flankieren den Eifer der Notenbanker in der aktu­ellen Nachfragekrise.

An den Börsen gewahrten die Anleger einen launischen Umgang mit dem Krisenver­lauf. Während die Teilstille­ gung der Wirtschaft im Frühjahr des Jahres zu einem Kurssturz führte, erholte sich der Markt in den darauffol­genden Monaten. Einige Bör­sen starteten gar zu neuen Höchstkursen, während andere Aktienmärkte im negativen Territorium feststecken. Krisengewinner feiern neue Rekorde, während schwer betroffene Branchen existentiel­le Nöte ausstehen müssen. Insgesamt hat sich unter In­vestoren rasch herumgespro­chen, dass der altbekannte 'Fed-Put' sehr wohl lebt und inzwischen für alle wichtigen Zentralbanken gilt. Außerdem ist auf Jahre hinaus nicht zu erkennen, dass herkömmliche Zinsanlagen attraktive Renditen verheißen. Im Ge­genteil: Wer Staatsanleihen heute kauft und bis zu ihrer Fälligkeit hält, der kann einen hohen Kaufkraftverlust fest einplanen. Zugleich berichten viele lnvestmentbanken, dass der Anleihenmarkt boomt. Ob es sich angesichts der domi­nanten Aktivitäten der Noten­banken um einen Markt han­delt, darf geflissentlich ange­zweifelt werden.

Die Aktienmärkte indessen sind funktionstüchtig und durchaus nicht irrational. Da­bei darf man sich von gelegentlichen Übertreibungen z.B. bei manchen Technologieaktien und Neuemissionen nicht täuschen lassen. Im Grunde sind Aktienanlagen mittlerweile die einzige sinnvolle große Anlagekategorie. Kluge Selektion bleibt innerhalb der Aktienanlage das Nonplusultra, nicht zuletzt aus Risikogründen.

Aus Chicago,
Ihr
Dr. Christoph Bruns


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