MainFirst Marktkommentar vom 09.02.2021

Die Governance-Komponente – das G in ESG

Der Begriff „ESG“ ist vielschichtig, deckt er doch so viele Themenfelder auf einmal ab. Eine eindimensionale Betrachtungsweise greift hier analog zur fundamentalbasierten Bewertung von Aktien entschieden zu kurz. Mehrdimensionales Denken zur Erlangung eines möglichst umfassenden Bildes einer Unternehmung ist daher gefragt. Starre Vorgaben bei der Beurteilung oder Einordnung eines Unternehmens spiegeln die Realität der wirtschaftlichen Vielfalt und die Eigenheiten mancher Gesellschaften nicht ausreichend wider.

Während quantifizierbare Fortschritte, beispielsweise bei der Erreichung von Zielen zur Treibhausgasreduktion, noch in Zahlen mess- und dokumentierbar sind, ist jedoch eine primär zahlenbasierte Beurteilung einer guten Unternehmensführung wesentlich schwieriger, fehlbarer und uneindeutiger. Wie sich eine gute Corporate Governance definiert, liegt vielmehr im Auge des Betrachters. Gerade bei familiengeführten Konzernen tun sich viele unterschiedliche Auffassungen über eine gute Unternehmensführung auf.

Von Seiten des deutschen Gesetzgebers ergibt sich für Aktiengesellschaften die bekannte Machttrennung in Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung. Beim Aufsichtsrat als Kontrollinstanz des Vorstands ist vor allem dessen Zusammensetzung entscheidend. Finden sich hier unabhängige, kritische Geister mit reichlich operativen Erfahrungsschatz oder lediglich Abnicker von Vorstand’s Gnaden? Ämterhäufungen kommen gerade in den Großkonzernen allzu oft vor. Eine gewissenhafte Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Problemen innerhalb großer Unternehmen ist hier oftmals nicht gewährleistet.

Für unser Team mit Fokus auf deutsche und europäische Aktien ist nach Bewertungsaspekten die Managementqualität seit jeher das entscheidendste Kriterium für ein Investment. Die Einschätzung der Unternehmensführung gehört zur DNA unseres Investmentansatzes. Eigenschaften wie Aufrichtigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Transparenz, eine Prise konservativer Haltung aber auch Kritikfähigkeit sind wichtig, um die Integrität einer börsengelisteten Gesellschaft zu bewahren. Der Vorstand ist in seiner Aufgabe gesetzlich dazu verpflichtet, zwischen allen Stakeholdern als Vermittler zu agieren. Umso wichtiger ist eine eingehende Analyse darüber, ob die Ziele des Vorstands mit denen der Aktionäre im Einklang stehen. Erste Anhaltspunkte eröffnen hierbei die Betrachtung der langfristigen finanziellen Anreizmechanismen bei Vorstandsvergütungen. Idealerweise sollte auch ein nicht-beteiligter Vorstand unternehmerisch so nachhaltig handeln, als ob ihm die Firma gehören würde. Ein in Vorstandsetagen oftmals unterschätzter Gedanke ist jedoch, dass ein Vorstand eigentlich nur der Angestellte der Unternehmenseigentümer – also der Aktionäre – ist.     

In Bezug auf das Organ der Hauptversammlung ist vor allem die Rolle von großen Aktionären und deren Verflechtungen in die Gesellschaften zu beachten. Dies ist einer der Gründe, weshalb Familienkonzerne oftmals unterschiedlichste Bewertungen von verschiedenen externen Ratingagenturen erhalten. Doch gerade Familienkonzerne sehen wir als die nachhaltiger ausgerichteten Gesellschaften an. Denn: Die kurz- bis mittelfristige Optimierung der Vergütung über die Laufzeit eines Vorstandsmandates steht dort nicht im Vordergrund. Verantwortungsvolle Familienunternehmen denken stattdessen in Generationen. Die Reputation und Aufrechterhaltung des Lebenswerks der Familie ist ihnen von höchster Bedeutung. Letztendlich bildet diese Einstellung das Fundament für nachhaltigen Erfolg. Nach demselben Muster sind auch ihre externen Beziehungen auf diesen beständigen Erfolg ausgerichtet. Der Fokus auf das langfristige Wohl der Firma samt Aktionären, Mitarbeitern und anderen Stakeholdern trägt zu einer höheren Konstanz in der Unternehmensführung sowie zum Werterhalt und Wertzuwachs bei. Dank geringerer Optimierung von Bilanzstrukturen können Ausgaben für zukünftiges Wachstum via Forschung und Entwicklung oder Erweiterungsinvestitionen auch in Krisenzeiten ununterbrochen finanziert werden. Anorganische Wachstumsorgien, wie sie manche Großkonzerne betreiben, könnten genau diese Flexibilität gefährden.

Die große Herausforderung bei familiengeführten Unternehmen ist die Nachfolge – der reibungslose Übergang von einer Generation zur nächsten. Es muss alles für einen geordneten Übergang geregelt sein. Das ist eines der Risiken bei der Investition in Familienkonzerne. Auch diese übergeordneten Themen werden bei uns in den zahlreichen Meetings abgeklopft und validiert. Außerdem ist uns als Aktionäre die aktive Ausübung unserer Stimmrechte auf Hauptversammlungen ein großes Anliegen und wir nehmen diese seit Jahren gewissenhaft und treuhänderisch wahr.

Eine Aufnahmevoraussetzung in unsere Fonds ist ein persönlicher Termin mit einem Unternehmensvertreter aus der ersten Reihe. Nach einem Engagement in den Fonds gehört der regelmäßige Austausch für Updates – ob virtuell, persönlich in unseren Geschäftsräumen in Frankfurt, auf Konferenzen oder im Unternehmen direkt vor Ort – ebenso dazu und dies teilweise sogar mehrfach im Quartal. Vor allem zu den Top10-Unternehmen in unseren konzentrierten Portfolien halten wir sehr engen Kontakt. Ein aktiver Dialog über die aktuelle Geschäftsentwicklung, die strategische Weiterentwicklung der Unternehmen und Nachhaltigkeitsaspekte ist essentiell.

Allgemein ist im Umgang mit klein- bis mittelgroßen Unternehmen eine differenzierte Betrachtung der Governance von Nöten. Diese Gesellschaften haben verständlicherweise oftmals nicht die üppigen Kapazitäten, um einen eigenen Apparat für zahlreiche Themen rund um das Controlling und die Kommunikation von Nachhaltigkeitsaspekten aufzubauen. Deswegen fallen sie zumeist zu Unrecht durch das rigide, quantitativ-orientierte Raster der großen Bewertungsagenturen und werden von diesen mit schlechteren Ratings versehen. Gerade hier setzen wir jedoch an, engagieren uns und bilden uns im direkten Dialog ein eigenes Urteil. Diese differenzierte Begutachtung der Unternehmen fügt sich perfekt ein in unseren Bottom-Up-Stockpicking-Ansatz.

Eine eingehendere ESG-Integration in unseren Investmentprozess brachte neben der wie gehabt hohen Stellung des Governance-Teils vor allem eine tiefere Ausweitung auf Umwelt- und Sozialthemen mit sich. Die Berücksichtigung dieser Aspekte gehörte nichtsdestotrotz schon vorher zu unserer fundamentalen Unternehmensbewertung. Fragen nach Mitarbeiterfluktuation, Risiken aus Umweltthemen oder dem Umgang mit den eigenen Angestellten waren üblich. Wir haben uns für den Bezug von Daten bei Sustainalytics als zusätzliche Komponente im Entscheidungsprozess entschieden, um weitere Informationen und Perspektiven vor unseren Kaufentscheidungen zu erhalten. Daraus ergibt sich ein noch vollständigeres Bild von unseren Unternehmen. Dieses gewonnene Wissen umzumünzen in langfristige Outperformance, das ist einer der entscheidenden Unterschiede und Vorteile des aktiven Fondsmanagements gegenüber passiven Anlagestrategien.

Autoren: Olgerd Eichler, Evy Bellet, Alexander Dominicus, Alexander Lippert


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