Steuern: Sind die Gallier verrückt?

ODDO BHF Asset Management

ODDO BHF “Blick auf die Kapitalmärkte” vom 19.11.2025

  • Frankreich hat jetzt eine der schlimmsten Haushaltssituationen in Europa
  • Im Gegensatz zu allen seinen Nachbarn ist die Staatsverschuldung in den letzten Jahren gestiegen
  • Das Haushaltsdefizit wird 2025 bei 5,4 % des BIP liegen, gegenüber weniger als 3 % für die Eurozone
  • Es gibt eine kollektive Verleugnung der Ursachen der Defizite
  • In politischen Debatten wird regelmäßig erörtert, wie einkommensstarke Gruppen einen größeren Beitrag leisten können
  • Es gibt Bedenken, ob die derzeitige Großzügigkeit des Sozialsystem langfristig gesichert werden kann
     

In dem berühmten Comic „Asterix”, welches seit Jahrzehnten die Abenteuer eines gallischen Dorfes erzählt, das sich gegen die Armeen Cäsars wehrt, beenden die Helden ihre Abenteuer oft mit dem Ausruf: „Die sind verrückt, diese Römer!”

Heutzutage ist der Wahnsinn, zumindest der steuerliche Wahnsinn, nicht in Rom, Berlin oder Brüssel zu finden. Er konzentriert sich im Plenarsaal der französischen Nationalversammlung, wo die Abgeordneten seit einigen Wochen mit aller Kraft versuchen, neue Steuern zu erfinden oder die zahlreichen bereits bestehenden Steuern zu erhöhen. Das Ziel ist, die Steuereinnahmen zu erhöhen, um das Haushaltsdefizit der öffentlichen Verwaltung zu verringern.

Im Jahr 2024 lag dieses Defizit bei 5,8 % des BIP, dieses Jahr soll es bei 5,4 % landen. Das ist ein kleiner Fortschritt. Zum Vergleich: Das Haushaltsdefizit in der Eurozone lag 2024 bei 3,2 % des BIP und wird dieses Jahr im Durchschnitt unter die 3 %-Marke fallen. Niemand kann leugnen, dass es in Frankreich ein großes Haushaltsproblem gibt, aber das hängt viel weniger mit den Einnahmen als mit den öffentlichen Ausgaben zusammen.

Frankreich hat schon eine der höchsten Steuerbelastungen weltweit. Außerdem hat es eines der großzügigsten Sozialsysteme überhaupt. Laut INSEE (das französische nationale Institut für Statistik und Wirtschaftsstudien) ist das Verhältnis zwischen dem Lebensstandard der reichsten 10 % und den ärmsten 10 % vor Umverteilung von 18x. Nach Umverteilung sinkt es auf 3,5x. Trotzdem denken viele Experten, dass die Ungleichheiten ausgeprägt sind, wenn man noch weiter oben auf der Einkommensskala schaut. In einem Bericht des EU Tax Observatory vom letzten März, den der mittlerweile bekannte Gabriel Zucman mitverfasst hat, kommt raus, dass es in Frankreich 147 Milliardäre gibt, ein Rekord in Europa, noch vor Deutschland mit 128. Eine kleine Steuer auf ihr Vermögen könnte viele Milliarden einbringen.

Wochenlang haben die Medien, vor allem die öffentlich-rechtlichen, eine intensive Überzeugungsarbeit geleistet, um die Franzosen davon zu überzeugen, dass eine „Zucman-Steuer” von 2 % auf Vermögen über 100 Millionen Euro nicht nur zur Haushaltskonsolidierung beitragen, sondern auch ein Garant für „Steuergerechtigkeit” sein würde. Dann war von einer „Zucman-Steuer” in einer „abgeschwächten” Form die Rede, die den Steuersatz auf 3 % erhöhen und die Bemessungsgrundlage auf 10 Millionen Euro ausweiten sollte. Die Abgeordneten haben nicht für die „Zucman-Steuer” gestimmt, aber sie haben für viele andere Maßnahmen gestimmt, die die Steuerlast für Unternehmensgewinne, Holdinggesellschaften, hohe Einkommen, hohe Vermögen, multinationale Unternehmen usw. erhöhen. Bei seiner Weiterleitung vom Nationalrat an den Senat werden viele dieser Maßnahmen aus dem Haushaltsentwurf gestrichen werden, sodass ein hoffentlich vernünftigerer Kompromiss gefunden werden dürfte.

Trotzdem muss die Sanierung der öffentlichen Finanzen in Frankreich Priorität haben. Es kann natürlich vorkommen, dass ein heftiger und unerwarteter Schock einen Staat dazu zwingt, weitreichende Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, die große Defizite und einen Anstieg der Verschuldung mit sich bringen. Das war nach der Finanzkrise 2008 der Fall. Und wieder bei der Pandemie 2020. Seit Anfang 2022 haben alle europäischen Länder Anstrengungen zum Schuldenabbau unternommen: -44 Prozentpunkte für Griechenland, -33 für Portugal, -14 für Spanien, -10 für Italien, -3,5 für Deutschland (das von einem niedrigen Niveau ausging). Die Ausnahme ist Frankreich: Die Schuldenquote stieg um 2 Prozentpunkte auf 116 % des BIP.

Drei Punkte, die jeder beachten sollte, der sich ernsthaft mit dem Problem der öffentlichen Defizite in Frankreich auseinandersetzt, ihre Ursachen verstehen und versuchen will, Lösungen dafür zu finden.

Punkt 1 – Die eigentliche Ursache für diese chronischen Defizite sind zum großen Teil die Sozialausgaben, vor allem die Rentenausgaben. Im Jahr 2024 werden von den 169 Milliarden Euro Haushaltsdefizit fast alle (91 %) vom Staat getragen. Viele Experten für öffentliche Finanzen finden diese Darstellung irreführend, weil der Staat in Wirklichkeit die lokalen Gebietskörperschaften und die Sozialversicherung stark subventioniert, vor allem um ein Defizit des Rentensystems des öffentlichen Sektors zu vermeiden. Wenn man diese Buchhaltungstricks korrigiert, ändert sich das Gesamtdefizit zwar nicht, aber der Beitrag des Staates sinkt auf 29 % und der der Sozialversicherung steigt auf 40 %. Hier müssen die Anstrengungen ansetzen.

Punkt 2 – Die Finanzierung der Renten hängt vor allem von der Entwicklung der Zahl der Rentner und der beitragszahlenden Erwerbstätigen ab. Die französische Bevölkerung ist zwischen 1991 und 2025 um 10 Millionen Menschen gewachsen. Da die Bevölkerung aufgrund demografischer Veränderungen altert, haben in diesem Zeitraum 6,5 Millionen Menschen zusätzlich das Alter von 65 Jahren erreicht, sodass die Gesamtzahl der über 65-Jährigen heute 12 Millionen beträgt. Von diesem Bevölkerungswachstum um 10 Millionen zwischen 1991 und 2025 sind deshalb 6 von 10 neuen Bürgern über 65 Jahre alt. Der Anteil der Menschen im Rentenalter ist innerhalb einer Generation von 14 % auf 22 % der Gesamtbevölkerung gestiegen. Genau zu diesem Zeitpunkt hat die Regierung zugestimmt, die Rentenreform von 2023, die das gesetzliche Renteneintrittsalter angehoben hätte, auszusetzen, um ihr politisches Überleben zu sichern. Angesichts einer Bevölkerung, deren Lebenserwartung steigt, ist es inkonsequent, die Parameter des Rentensystems unverändert zu lassen, sei es das Renteneintrittsalter, die Beitragsdauer und -quote oder, als letztes Tabu, die Höhe der Renten.

Punkt 3 – Das Ungleichgewicht zwischen den Generationen wird immer größer. Im Jahr 2025 wird Frankreich zum ersten Mal in seiner Geschichte, abgesehen von Zeiten großer Kriege oder Epidemien, weniger Geburten als Todesfälle verzeichnen. Bei so wenigen Geburten werden die Kosten der Alterung auf immer weniger Schultern lasten. Alle Industrieländer erleben einen Einbruch ihrer Geburtenrate. Frankreich, das dabei nicht am schlechtesten dasteht, bildet da keine Ausnahme. Diese bedeutende anthropologische Entwicklung rückt die Haushaltsdebatten in der Nationalversammlung in ihr richtiges Licht: ein schlechtes Theater, in dem alle Parteien nach Notlösungen (neuen Steuern) suchen, anstatt das Übel an der Wurzel zu packen. Eine weitere Steuer für Reiche oder Unternehmen dürfte die steigenden Kosten eines zu großzügigen Sozialstaates nicht decken können.

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