Allianz Global Investors "Die Woche voraus" vom 23.05.2025
Schaut man auf die Entwicklung der Aktienmärkte seit dem sogenannten „Liberation Day“ (dem Tag, an dem US-Präsident Trump seine Zollpolitik verkündete) am 2. April 2025 zurück, kann man sich nur verwundert die Augen reiben und fragen: War was? Die Aktienmärkte haben sich in der Breite gut erholt. STOXX 600 und DAX 40 hatten zwischenzeitlich ihre vorherigen Hochs wieder übertroffen oder zumindest Anlauf genommen (S&P 500) dazu aufzuschließen. Auch die Konzentration auf die Technologiewerte und besonders die „Magnificient 7“ scheint wieder da zu sein. So haben der NASDAQ 100 und die FANG + gegenüber dem – gleichgewichteten – S&P 500 wieder outperformed. Eine Dominanz, die noch deutlicher wird, vergleicht man den mit der Marktkapitalisierung gewichteten S&P 500 mit seinem gleichgewichteten Pendant.
Also: Alles wie gehabt, nach dem die Zölle nach einem ersten Schrecken ausgesetzt bzw. heruntergeschraubt wurden? So einfach ist die Welt dann doch nicht. Was auffällt ist, dass der US-Dollar unverändert deutlich zur Schwäche neigt, die europäischen – und besonders die deutschen – Titel besser performt haben als der USamerikanische Markt, und dass die US-Staatsanleihen wieder höher rentieren und an das Niveau anschließen, als der Streit um die Unabhängigkeit der US-Zentralbank Federal Reserve (Fed) ausbrach. Kein gutes Zeichen, denn auch die US-Regierung kann kein Geld drucken, um ihre weiter anwachsenden Schulden zu bedienen. So wirken die US-Staatsschulden zunehmend belastend und lassen erwarten, dass dieses Thema auf Sicht wieder an den Anleihe- und wohl auch an den Aktienmärkten ankommt. Mittlerweile belaufen sich die reinen Zinszahlungen der US-Regierung auf 3,1% des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das ist der höchste Stand seit 25 Jahren. Derweil senkte die Ratingagentur Moody’s die Bonität der USA um eine Stelle, womit die Vereinigten Staaten jetzt bei allen drei großen Ratingagenturen ihre beste Bonität eingebüßt haben. Der Ausblick wurde in diesem Zuge allerdings von negativ auf stabil geändert.
Die Zollpolitik kommt derweil auch bei den Verbrauchern in den USA an. Die von der Universität von Michigan erhobenen Inflationserwartungen sind deutlich gestiegen. Wenn die größte Supermarktkette des Landes jetzt beginnt die Preise hochzunehmen aufgrund der Zollpolitik, lässt dies für den zukünftigen Konsum nichts Gutes erwarten. Zölle sind letztlich nichts anderes als eine Form der Mehrwertsteuer, die zwar an der Grenze anfällt, aber vom Endverbraucher bezahlt wird.
Dazu passt, dass das Michigan Verbraucher-Sentiment auf dem zweit niedrigsten Niveau seit Aufzeichnung liegt. Während die Stimmung der unabhängigen Wähler („Independents“) und jene der eingeschriebenen Parteigänger der Demokraten schon zuvor deutlich gekippt war, dreht jetzt auch das Stimmungsbild der eingeschriebenen Republikaner nach unten.
Gut nur, dass sich dies noch nicht auf das aktuelle Ausgabenverhalten in den USA ausgewirkt hat. Während das Vertrauen der Verbraucher angesichts der weit verbreiteten politischen Unsicherheit gesunken ist, sind die Ausgaben für Waren stabil geblieben. Insgesamt stiegen die Einzelhandelsumsätze im April, nachdem sie für den März um deutlich nach oben korrigiert wurden. Die Ausgaben in Restaurants und Bars legten ebenfalls deutlich zu. Nicht auszuschließen, dass es sich hierbei zumindest teilweise um Vorzieheffekte handelt, bevor die Zölle dann in voller Höhe auf den Preisschildern sichtbar werden.
Die Berichtssaison geht derweil in die Endphase. In Europa haben über 60% der im STOXX Europe 600 enthaltenen Unternehmen berichtet. Im Durchschnitt haben ca. 60% die Analystenschätzungen übertroffen. Verglichen mit den sonst üblichen Quoten positiver Überraschungen, die gerne über 70% liegen, ist das nicht all‘ zu überzeugend. Die Quartalsberichte der S&P 500 liegen fast alle auf dem Tisch. Über ¾ konnten die Erwartungen übertreffen, wobei es zu starken Divergenzen zwischen den Sektoren kam. Während die Ausblicke verhaltender werden, bleibt die Revisionsdynamik schwach. Die Analysten nehmen unverändert mehr Gewinnschätzungen zurück als sie anheben.
In der kommenden Woche wird es jetzt spannend zu sehen, inwieweit es Anzeichen für eine konjunkturelle Abkühlung in der größten Volkswirtschaft der Welt gibt. Der Datenkalender ist dabei nicht sehr voll. Am Dienstag kommen das GfK-Konsumentenklima für Deutschland, das Geschäftsklima für die Eurozone, sowie die Auftragseingänge für Verbrauchsgüter und langlebige Güter in den USA. Am Donnerstag werden die Anträge auf Arbeitslosenentgelt in den USA veröffentlicht. Am Freitag stehen die vorläufigen Verbraucherpreise für Deutschland, sowie der Chicago Einkaufsmanagerindex und der von der Fed stark beachtete Preisindex für die persönlichen Konsumausgaben (PCE – „Personal Consumption Expenditures“) an.
War was? Es ist was. Die Unsicherheit ist erhöht, was weder gut für die Kapitalmärkte noch gut für die Wirtschaft insgesamt ist. Noch ist unklar, wie sich die Zollpolitik außerhalb des 90tägigen Aufschubs gestalten und welche Ausmaße das Budgetdefizit der US-Regierung am Ende annehmen wird.
Gut nur: Die technische Lage an den Aktienmärkten zeigt sich für die großen Indizes derzeit als stabil. Gemessen an der Anzahl der Aktien, die gestiegen sind, vs. jener die Abschläge hinnehmen mussten, hat die Erholung nach dem Zoll-Schock an Breite gewonnen. Von Überschwang kann noch keine Rede sein, zumindest wenn man den von der American Association of Individual Investors gemessenen Anteil der „Bullen“ nimmt, die von den „Bären“ noch deutlich übertroffen werden. Oft ein Kontraindikator.
Weniger Unsicherheit, mehr Verlässlichkeit wünsche ich uns allen,
Dr. Hans-Jörg Naumer
Director Global Capital Markets & Thematic Research