Die Notenbanken sind nervös - Was geschehen muss, damit sich die Märkte wieder dauerhaft stabilisieren

DWS CIO View - CIO Flash vom 16.06.2022

Zwei Sitzungen, im Schatten von turbulenten Tagen an den Märkten

Bevor wir die Zentralbanksitzungen vom Mittwoch analysieren, lohnt es sich, den Hintergrund vor dem sie stattfanden in Erinnerung zu rufen. Die Volatilität an den Finanzmärkten hat in den letzten Tagen erheblich zugenommen. Zu ersten heftigen Marktreaktionen kam es nach der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB), auf der die EZB zwar in ungewöhnlich klaren Worten Zinserhöhungen angekündigt hat, andererseits aber besonders im Hinblick auf die steigenden Renditedifferenzen innerhalb des Euroraumes eine klare Antwort schuldig blieb.

Am darauffolgenden Tag lieferten die USA den Stoff für die nächste Runde an heftigen Kursrückschlägen. Die Mai Konsu-mentenpreis-Inflationszahl in den USA, veröffentlicht am vergangenen Freitag, war hoch, keine Frage. Dennoch überrascht die allergische Reaktion der Märkte etwas. Schließlich war es nicht die erste hohe Inflationszahl. Zudem hat sich die sogenannte Kerninflationsrate erwartungsgemäß sogar etwas abgeschwächt, also nach Herausrechnung der notorisch volatilen Energie- und Lebensmittelkomponenten. Und was die Energie- und Lebensmittelpreise angeht, dürften die erneuten Preiserhöhungen im Mai eigentlich niemanden überraschen. Sie waren Stoff vieler Schlagzeilen.

Die Vermutung liegt also nahe, dass sich einige Marktteilnehmer zur Hoffnung haben hinreißen lassen, dass das Thema Inflation an Bedeutung verlieren würde, und zwar unabhängig davon, was die Daten eigentlich suggerierten. Indem sie sich entsprechend positionierten, waren sie anfällig für plötzliche Stimmungsumschwünge. Den Rest leistete die Panik, die sich bis einschließlich Dienstag am Markt einschlich.

Markt- und politische Auswirkungen

Womit wir bei den Ereignissen des Mittwochs wären. Dass die EZB außerhalb des regulären Meeting-Zyklus noch eine Sondersitzung des Governing Council einberufen hat, zeigt, wie alarmiert Europas Währungshüter angesichts der steigenden Risikoprämien besonders für italienische Staatsanleihen sind. Obwohl keine unmittelbar wirksamen Maßnahmen verkündet wurden, so sorgte doch die Ankündigung, an einem neuen Instrument gegen eine Fragmentierung des Anleihemarktes zu arbeiten, für eine gewisse Entspannung. Auch reagiert die EZB mit einer flexibleren Reinvestitionspolitik im Rahmen des Pandemic emergency purchase programme (PEPP) auf die Spread-Ausweitungen in den Peripherie-Rentenmärkten.

Es wird aber eine Menge Fingerspitzengefühl in der Kommunikation und der Ausgestaltung dieses Instruments erfordern, wenn die Beruhigung bei den Spreads nicht nur von kurzer Dauer sein soll. Wahrscheinlich dürfte die EZB bereits im Juli das neue Instrument vorstellen, wenn auch die erste Zinserhöhung ansteht. Gelingt es damit tatsächlich, nicht fundamental gerechtfertigten Renditeausweitungen einzelner Länder dauerhaft zu begegnen, wäre die Notenbank einen wichtigen Schritt weiter. Denn das dürfte der EZB dann die Möglichkeit geben, die Leitzinsen schneller und aggressiver zu erhöhen, wie es in anderen Ländern bereits vorgemacht wird.

Die amerikanische Zentralbank ist dabei schon ein deutliches Stück weiter. Unter der Oberfläche sehen wir ein paar Indizien, die darauf hindeuten, dass die Inflationsproblematik nahe an ihrem Höhepunkt ist. So hat das Lohnwachstum im US-Niedriglohnsektor deutlich nachgelassen und der Immobilienmarkt beginnt sich abzuschwächen, was angesichts einer Verdopplung der Hypothekenzinsen in den USA auch kein Wunder ist.

Vor diesem Hintergrund beschloss die Fed auf ihrer Juni-Sitzung erstmals seit drei Jahrzehnten, die Leitzinsen um 75 Basispunkte (bps) anzuheben, auf eine Spanne von 1,50-1,75 Prozent. Dies steht im Gegensatz zu ihrer Ankündigung von 50 Basispunkten vor der Sitzung. Gleichzeitig hoben die Gremiumsmitglieder ihre Aussichten für die zukünftige Entwicklung der Leitzinsen deutlich an: auf 3,4 Prozent Ende dieses Jahres und etwa 3,8 Prozent im Jahr 2023. Trotz dieser beträchtlichen Anpassung sehen sie den langfristigen Leitzins weiterhin bei 2,5 Prozent.

Die US-Notenbanker verschärfen auch die Formulierung in der obligatorischen Presseerklärung: sie verpflichten sich „die Inflation auf das 2-Prozent-Ziel zurückzuführen". Auch wurde angedeutet, dass sie dies auch dann tun werden, wenn es kostet: man geht nun davon aus, dass das Wachstum bereits in diesem Jahr mit 1,7 Prozent nahe am Potenzial liegt und die Arbeitslosenquote bis 2024 langsam auf 4,1 Prozent ansteigen wird. Diese Prognosen bedeuten noch nicht zwangsläufig eine Rezession, aber sie reizen die Möglichkeiten der Geldpolitik hinsichtlich einer Feinabstimmung der volkswirtschaftlichen Entwicklung deutlich aus. In der Pressekonferenz nannte der Vorsitzende Jerome Powell den überraschenden Inflationsanstieg als Hauptgrund für eine Anhebung der Zinssätze um mehr als die im Vorfeld der Sitzung anvisierten 50 Basispunkte. Außerdem sagte er, dass sowohl 50 als auch 75 Basispunkte bei der nächsten Sitzung möglich seien.

Insgesamt scheinen die US-Notenbanker fest entschlossen, ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen und zwar insbesondere in Bezug auf ihre Fähigkeit, die noch zu hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Das sind zwar recht noble Absichten, aber die Abweichung von der jüngst sehr deutlich formulierten Prognose innerhalb weniger Tage hinterlässt einen fragwürdigen Beigeschmack. Man könnte argumentieren, dass die Märkte die Kontrolle über die Geldpolitik übernommen haben und dass es vielleicht auch einen eleganteren Weg gegeben hätte um eine deutlich falkenhafte Leitlinie umzusetzen. Mit Blick auf die Zukunft muss die US-Notenbank diese Härte nun jedoch umsetzen - selbst wenn das Ergebnis eine Rezession sein sollte.

Am Willen zur Inflationsbekämpfung mangelt es also nicht (mehr). Aber wie steht es um die Erfolgschancen? Verschiedene Indikatoren lieferten in den vergangenen Tagen gemischte Signale. Wir würden jedenfalls nicht zu viel in die ersten Anzeichen der Erleichterung an den Aktienmärkten während Powells Rede hineininterpretieren. Aussagekräftiger ist vielleicht, dass die in der Bewertung von Inflations-indexierten Anleihen implizierten Inflationserwartungen in den letzten Wochen bereits deutlich nachgegeben haben, nicht nur in den USA. Im Falle von Europa von 3% erwarteter durchschnittlicher Inflation über die kommenden 10 Jahre auf aktuell 2.3%.

Auswirkungen auf die Anlageklassen

Was muss geschehen, damit sich die Märkte wieder dauerhaft stabilisieren? Wir würden für die Beantwortung dieser Frage vor allem auf zwei Kriterien verweisen: erstens benötigt der Markt Klarheit darüber, wie hoch die Zentralbanken die Leitzinsen setzen müssen, um das Inflationsproblem in den Griff zu bekommen. Entscheidend für diese Klarheit wird sein, wann sich eine Änderung in der Inflationsdynamik abzeichnet. Zweitens muss die Konjunktur halten.

Bezüglich Inflationserwartungen und Notenbank-Klarheit sieht es wie bereits ausgeführt gar nicht so schlecht aus. Somit bleibt noch das Kriterium, dass wir nicht in eine Rezession abgleiten werden. Bisher hat sich die Konjunktur, insbesondere in den USA, trotz aller Widrigkeiten als robust erwiesen. Obwohl die Rezessionsrisiken klar gestiegen sind, sehen wir weiterhin eine gute Wahrscheinlichkeit, dass eine Rezession sowohl in Europa als auch in den USA vermieden werden kann. Tatsächlich kann – wer möchte – die Entscheidung der Fed auch so interpretieren, dass die Notenbanker die zugrundeliegende wirtschaftliche Dynamik als stärker einschätzen als bisher angenommen.

Angesichts der Tatsache, dass die wirtschaftlichen Daten auf breiter Front immer noch durch die Pandemie und ihre Folgen verzerrt sind, sollten wir aber ehrlicher Weise hinzufügen, dass niemand, einschließlich der Zentralbanker, sich bei derartigen Einschätzungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicher sein kann. Die Ursache der aktuellen Inflationsproblematik sehen wir in einer schwächelnden Angebotsseite der Wirtschaft, während sich die Nachfrage in ziemlich guter Verfassung präsentiert. Dies sollte einen gewissen Schutz vor einer Rezession bieten. In den nächsten Wochen wird unsere besondere Aufmerksamkeit den Unternehmensberichten für das zweite Quartal gelten.  

Abschließend bleibt zu sagen, dass wir Versuchen, Wendepunkte an den Märkten zu identifizieren, generell skeptisch gegenüberstehen. Bis es mehr Klarheit zu Inflationsdynamik, Zentralbankpolitik sowie Konjunktur und Unternehmensgewinnentwicklung gibt, dürften die Märkte weiterhin nervös und volatil bleiben. 
 

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