Flossbach von Storch - Marktkommentar Oktober 2020

„Neuausrichtung“ der Geldpolitik

Die US-Notenbank Fed hat offiziell angekündigt, künftig auch höhere Inflationsraten zu tolerieren – zumindest zeitweise. Was „zeitweise“ bedeutet, definiert die Fed, was auch immer das im konkreten Fall bedeuten mag.

Fed-Chef Jerome Powell hat einmal mehr gezeigt, wie große die Kreativität der Notenbank ist: Mit der jüngst verkündeten Strategie des sogenannten „Price-Level-Targetings“ wird sich die Fed künftig nicht mehr an einem symmetrischen Inflationsziel orientieren, dessen Überschreiten vermieden werden soll, sondern an einem kumulierten Zielwert von jährlich zwei Prozent Preissteigerungen. Dieser Zielwert wird nicht für ein einzelnes Jahr angestrebt, sondern über einen längeren Zeitraum, der zwar nicht genau definiert wird, aber mehrere Jahre betragen dürfte. Wenn die Inflation also längere Zeit unter zwei Prozent liegt, darf sie danach auch längere Zeit über zwei Prozent liegen.

Was heißt das nun konkret? Die niedrigen Inflationsraten der vergangenen Jahre haben sozusagen ein „Inflationsguthaben“ aufgebaut, das es der Fed ermöglicht, zukünftig auch ein Überschießen der Zweiprozentmarke zu tolerieren. Die Notenbank kann im Fall deutlich steigender Inflationsraten also erst einmal abwarten und muss nicht umgehend gegensteuern und die Zinsen erhöhen.

Das Inflationsguthaben ist groß

Diesen Schritt könnte die Fed so lange herauszögern, bis sie der Meinung ist, dass sich die Menschen an eine über zwei Prozent liegende Inflationsrate gewöhnen könnten und damit das Ziel der Preisstabilität gefährden. In den vergangenen fünf Jahren lag die Inflation fast durchgehend unter zwei Prozent. Das aufgebaute „Inflationsguthaben“ ist so groß, dass die Inflation in den kommenden fünf Jahren durchschnittlich 2,6 Prozent betragen könnte, bis es aufgebraucht wäre. Bezogen auf ein Jahr wären auch deutlich höhere Inflationsraten tolerierbar, sofern die Notenbank zu der Ansicht käme, dass dieser Anstieg temporärer Natur sei und diese Ansicht auch von Konsumenten, Sparern und Investoren geteilt würde.

Der Trend könnte bald auch Europa erreichen. Die EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat am 30. September angekündigt, dass auch die EZB ein „Price-Level-Targeting“ prüfen werde. Aufgrund der historisch sehr niedrigen Inflationsraten in der Eurozone ergäbe sich hier ein noch höheres „Inflationsguthaben“, das erst dann abgebaut wäre, wenn die Inflation in den kommenden fünf Jahren im Durchschnitt 3,1 Prozent erreichen würde. Aber selbst ohne explizite Neudefinition des Inflationsziels gehen wir davon aus, dass ein Überschießen der Zweiprozentmarke auch in der Eurozone zukünftig nicht zwangsläufig zu einer restriktiveren Geldpolitik führen würde.

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Christine Lagarde am 11. September mahnte, „unsere akkommodierende Geldpolitik braucht die Unterstützung der Finanzpolitik, und niemand von uns kann sich in der heutigen Zeit Selbstgefälligkeit leisten.“

Beim Lesen dieser Zeilen muss man unweigerlich denken, etwas falsch verstanden zu haben. Naturgemäß ist es genau umgekehrt: Die Staaten wünschen sich billiges Geld von den Notenbanken, um ihre Defizite leichter finanzieren zu können, und die Notenbanken ermahnen die Staaten zu solider Haushaltsführung. Nun aber bittet die Notenbank die Staaten, die tiefen Zinsen zu nutzen, um sich stärker zu verschulden und ihre Ausgaben zu erhöhen. Bereits jetzt haben die Staatsschuldenquoten neue historische Höchststände erreicht. Ende des Jahres dürfte die Bruttostaatsverschuldung in Japan mehr als 260 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, in den USA rund 140 Prozent und in der Eurozone etwa 100 Prozent. Die Sorge, dass die hohen Schulden auf Dauer nicht tragbar sind, ist zumindest theoretisch solange unberechtigt, wie die Zinsen bzw. Renditen von Staatsanleihen nahe null verharren. Denn mit Nullzinsen ist praktisch jedes Defizit und jeder Schuldenberg problemlos finanzierbar.

„Die Notenbanken als Staubsauger“

So betrug das Haushaltsdefizit der USA im gerade beendeten Fiskaljahr (30. September) mehr als 3.000 Milliarden US-Dollar. Investoren könnten aber befürchten, dass die riesigen Mengen neuer Anleihen, die zur Finanzierung der Haushaltsdefizite erforderlich sind, das Renditeniveau wieder steigen lassen. Trotz explodierender Staatsschulden ist die frei verfügbare Menge an umlaufenden US-Staatsanleihen zuletzt aber kaum gestiegen, weil die US-Notenbank wie ein riesiger Staubsauger überschüssiges Material aufkauft. Inzwischen hält sie über ein Fünftel aller ausstehenden US-Staatsanleihen. Im internationalen Vergleich ist dies sogar noch wenig. Angeführt wird das Feld seit Jahren von der Bank of Japan, die zuletzt etwa 46 Prozent aller ausstehenden japanischen Staatsanleihen auf ihre Bücher genommen hatte und vom Vereinigten Königreich, wo es immerhin 35 Prozent sind. Das zeigt auch, wie fließend die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik inzwischen geworden ist.

Für Investoren hat das Folgen: Dass die Zinsen auf absehbare Zeit deutlicher steigen, ist unwahrscheinlich – selbst bei einem Anstieg der Inflation. In diesem Umfeld kommt ein breit aufgestelltes Portfolio nicht ohne erstklassige liquide Sachwerte aus.


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