ODDO BHF CIO View vom 04.07.2025
Im internationalen Wettbewerb um den attraktivsten Aktienmarkt liegt der deutsche in diesem Jahr weit vorne. In den ersten sechs Monaten 2025 ging der Deutsche Aktienindex DAX um 19,4 Prozent in die Höhe. Damit summiert sich der Kursanstieg deutscher Standardwerte in den vergangenen zwölf Monaten auf etwa 30 Prozent. Mit dieser Performance schneidet der Leitindex für deutsche Standardwerte besser ab als der amerikanische Aktienindex S&P 500, der im ersten Halbjahr um gut 5 Prozent zulegte, oder als der europäische Standardwerte-Index Euro Stoxx 50, der in den ersten sechs Monaten 2025 um etwas mehr als 8 Prozent vorrückte. Den Anstieg des DAX haben bisher vor allem Industrietitel wie Siemens, Rheinmetall oder Siemens Energy getragen, aber auch die Versicherer Allianz und Münchner Rück, und SAP als Technologiewert.
Dass deutsche Aktien im internationalen Vergleich derzeit so gut abschneiden, ist angesichts der anhaltenden Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft nicht selbstverständlich. Selbst die Bundesregierung erwartet für 2025 bestenfalls einen Stillstand beim Bruttoinlandsprodukt von 0,0 Prozent. Die großen Wirtschaftsforschungsinstitute setzen ein bescheidenes Plus von 0,1 Prozent an. Viele börsennotierte Unternehmen können die Wachstumsmisere hierzulande durch ihr umfangreiches Auslandsgeschäft auffangen. Höhere Zollschranken in den USA und verstärkter Wettbewerbsdruck von Seiten chinesischer Unternehmen sorgen derzeit allerdings für Gegenwind.
Ein großer Teil der Hoffnungen für den hiesigen Aktienmarkt liegt auf dem Infrastruktur- und Rüstungsprogramm, das die schwarz-rote Bundesregierung beschlossen hat und das allmählich konkretere Formen annimmt. 500 Milliarden Euro will die Bundesregierung in den kommenden zehn Jahren zur Modernisierung der vielerorten maroden öffentlichen Infrastruktur aufwenden. Von diesem Betrag sollen 100 Milliarden Euro den Bundesländern zu ihrer freien Verwendung zufließen und weitere 100 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds eingestellt werden. Hinzu kommt die Steigerung der Verteidigungsausgaben. Im vergangenen Jahr beliefen diese sich schon auf 2,1 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) oder 90,6 Milliarden Euro. Im laufenden Jahr sollen sie laut Bundeshaushalt auf 155,2 Milliarden Euro steigen. Zudem haben auch die europäischen NATO-Mitglieder, Spanien ausgenommen, auf dem letzten Gipfeltreffen des Militärbündnisses dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 5 Prozent des BIP zugesagt.
Gemeinsam mit den Strukturreformen und der Entbürokratisierung, die die beiden Koalitionspartner versprochen haben, rechnen wir mit einem Stimmungsumschwung in der Wirtschaft, der letztlich allen Unternehmen zugutekommen und der sich auch im Gewinnwachstum der börsennotierten Unternehmen zeigen sollte. Die Erwartungen an den Märkten spiegeln diese Erwartung bereits. Für 2026 liegt die Schätzung für das Gewinnwachstum je Aktie der DAX-Unternehmen laut Bloomberg aktuell bei rund 15 Prozent.
Auch hoffen wir, dass sich das Ausgabenprogramm nicht auf die – zugegebenermaßen erforderliche – Instandsetzung der Bahn- und Straßeninfrastruktur beschränken wird, sondern auch Bildung, Erziehung und Forschung davon profitieren werden. Die deutschen Forschungseinrichtungen beispielsweise sind weltweit anerkannt für ihre Erfolge in der Grundlagenforschung auf vielfältigen Gebieten. Sollte es gelingen, diese Forschungsergebnisse besser in Geschäftsmodelle zu übertragen, könnte die deutsche Wirtschaft Stärken in der Medizintechnik, in der Biotechnik, in der innovativen Chemie oder im Ingenieurswesen besser ausspielen. Zudem besteht die Chance, durch das veränderte politische Klima in den USA weitere Spitzenforschung nach Deutschland zu ziehen. Mit einem vergleichsweisen geringen Einsatz öffentlicher Mittel sollte im Wissenstransfer von der Forschung in die Anwendung große Wirkung möglich sein. Unsere Portfoliomanager verfolgen hier aufmerksam die Entwicklung, um sich am Trend zu Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz zu beteiligen. Besonders im Bereich der Medizintechnik und dem Gesundheitswesen erwarten wir wesentliche Innovationen, die die Kosten im Gesundheitswesen senken, die Diagnose und Behandlung von Krankheitsbildern verbessern und zu einer Verlängerung der Lebensspanne beitragen.
Aktuell sind wir in Europa stark in Industrieunternehmen investiert. Dabei beschränken wir uns nicht auf die großen Standardwerte. Denn die europäischen Aktienmärkte bieten auch attraktive Unternehmen mit mittlerer Marktkapitalisierung, Mid Caps im Börsenjargon genannt. Viele von ihnen gelten als „hidden champions“, als Weltmarktführer in ihrem oft hoch spezialisierten Geschäftsfeld, ohne dass die Öffentlichkeit dies zwingend bemerken würde. Gerade der deutsche Aktienmarkt bietet attraktiv bewertete Unternehmen, die in einer kleinen Nische hoch spezialisierte Produkte herstellen und die nur sie allein in bester Qualität herstellen können. Durch ihre starke Marktstellung, die ihnen ihr Know-how verleiht, leiden sie weniger unter Preiswettbewerb, Handelsbeschränkungen und der ungewissen Zollpolitik des amerikanischen Präsidenten.
Eine starke Marke, international breit gestreute Absatzmärkte und ein Geschäftsmodell, das Konkurrenten nur unter erheblichen Mühen und hohem Kapitaleinsatz angreifen können, zahlen sich in unsicheren Zeiten wie diesen aus. Allerdings ist jetzt unserer Überzeugung nach nicht der Augenblick, um kurzfristig auf überdurchschnittlich hohe Kursgewinne an den Aktienmärkten zu spekulieren. Wir sind der Meinung, dass sich Aktienanleger jetzt vielmehr strategisch für den nächsten Aufschwung positionieren und Titel bevorzugen sollten, die von Kursschwankungen weniger getroffen werden sollten.
Wertentwicklung (Total Return) ausgewählter Indizes über 12 Monate bis zum 30. Juni des Jahres … in %