Jetzt spricht für Anleihen mehr als für Aktien

DWS CIO View - Letter to Investors vom 13.09.2023

Zinsen wie seit 2008 nicht mehr, der Zinserhöhungszyklus fast abgeschlossen und ein milder Konjunkturzyklus wird erwartet - vieles spricht derzeit für (Unternehmens-)Anleihen.

"Wir denken, dass Aktien nach dem starken Jahresstart sich bald einer Realitätsprüfung unterziehen könnten. Anleihen sind jedoch Nutznießer eines Umfelds, in dem die Inflation und die Zinssätze ihren Höchststand erreicht haben sollten und keine Rezession droht."

Björn Jesch, Global Chief Investment Officer

Verglichen mit den Jahren 2020-2023 waren die letzten Monate eher ereignislos, was größere politische oder wirtschaftliche Schocks angeht. Dennoch wurden auf unserem dritten CIO-Day des Jahres, auf dem wir unsere Wirtschafts- und Kapitalmarktprognosen für die nächsten zwölf Monate formulieren, ungewöhnlich intensive Diskussionen geführt. Was aber erklärbar ist. Denn warum sollte es den Anlegern besser gehen als den Zentralbanken, die bei jeder Gelegenheit betonen, dass sie "datenabhängig" handeln? Die Hauptsorgen der Märkte lassen sich auf die folgenden Fragen reduzieren: Wie stark muss sich die Wirtschaft abschwächen, um die Inflation zu senken, und welche Rolle spielen die Arbeitsmärkte in diesem Zusammenhang? Wie reagieren die Zentralbanken und wie weit blicken die Anleihemärkte voraus?

Diese intellektuelle Übung wird nicht dadurch erleichtert, dass die Welt mit einer Handvoll struktureller Brüche zu kämpfen hat: Aus dem monetären Überfluss wird geldpolitische Straffung, China kämpft mit verschiedenen internen und externen Problemen, nicht zuletzt mit der Verschlechterung der Beziehungen zum Westen, und dann ist da noch der Krieg in der Ukraine. Auf der positiven Seite könnte die Künstliche Intelligenz (KI) das potenzielle Wachstum in verschiedenen Ländern erhöhen.

Das bringt uns direkt zu unserem Ausblick für Aktien, denn der hat viel mit KI zu tun. Es mag einige überraschen, dass wir für die europäischen Aktienmärkte höhere Renditen erwarten als für die US-amerikanischen. Aber auch das ist erklärbar. Wir gehen davon aus, dass Europa der (milden) Rezession entgehen wird, die wir für die USA prognostizieren, und wir erwarten, dass die europäische Wirtschaft im Jahr 2024 mehr als doppelt so stark wachsen wird wie die US-amerikanische (0,9 Prozent gegenüber 0,4 Prozent). Gleichzeitig werden die USA selbst für dieses bescheidene Wachstum ein weiteres Mal ein hohes Haushaltsdefizit anhäufen müssen (unsere Prognose: 5,6 Prozent des BIP). Entsprechend hoch werden die Staatsanleiheemissionen ausfallen, was, im Falle einer möglicherweise schwächeren Nachfrage aus dem Ausland1 den Zinsen Aufwärtstrieb geben könnte.

Und selbst wer glaubt, dass das alles wenig mit dem Aktienmarkt zu tun hat, muss folgendes bedenken: Der US-Aktienmarkt ist zweigeteilt. Da sind zum einen die - eng gefasst - sieben Schwergewichte, vor allem aus den Bereichen IT und Medien/Internet, die vom KI-Boom dieses Jahres profitiert haben und die Börsen dominieren. Der Nasdaq 100 ist seit Jahresbeginn um etwa 40 Prozent gestiegen, der Dow Jones nur um vier Prozent.2 Das wiederum bedeutet, dass sich die Bewertungslücke zwischen Wachstums- und Substanzwerten bzw. zwischen Big Tech und dem Rest deutlich vergrößert hat: US-Technologiewerte werden mit einer Prämie von 47 Prozent gegenüber US-Aktien exklusive Techsektor3 gehandelt (30-Jahres-Durchschnitt: 20 Prozent). Der Aufschlag des US-Marktes gegenüber Europa beträgt 56 Prozent (Durchschnitt: 20 Prozent) und gegenüber Deutschland - dem Value-Markt schlechthin - 70 Prozent (Durchschnitt: 18 Prozent)4

Obwohl wir langfristig positiv gegenüber Aktien und insbesondere dem Technologiesektor eingestellt sind und weiterhin davon ausgehen, dass Aktien gute Inflationsabsorbierer sind, lassen uns die oben genannten Entwicklungen und Kennzahlen vorsichtig werden. Die US-Schwergewichte sind insgesamt zu teuer geworden, um den Markt von hier aus weiter deutlich nach oben zu treiben. Andererseits dürften auch die billigeren Substanztitel so schnell nicht das Zepter übernehmen. Dazu müssten die Wachstumsaussichten für die USA, Europa oder China deutlich höher sein. Unsere relativen Präferenzen innerhalb der Aktien sind Kommunikationsdienste (auch sie profitieren vom KI-Boom, bei angemessener Bewertung und zweistelligem Gewinn-Wachstum, zyklischer Konsum (unterstützt durch robuste Arbeitsmärkte) und europäische Nebenwerte (der Substanzmarkt schlechthin; der Bewertungsabschlag europäischer Aktien gegenüber den USA ist immer noch zu hoch, erst recht bei den Nebenwerten).

Belastend für die Aktienbewertungen sind Realzinsen, die so hoch wie zuletzt 2009 sind – inflationsindexierte 10-jährige US-Staatsanleihen (TIPS) rentieren bei fast zwei Prozent, gegenüber einem 10-Jahres-Durchschnitt von 0,28 Prozent.5 Und obwohl wir glauben, dass die Zinserhöhungszyklen der Zentralbanken in diesem Jahr enden, sind wir der Meinung, dass die Zinssenkungen, die wir für das nächste Jahr erwarten, nur eine leichte Anpassung der Zinssätze darstellen6 und nicht den Einstieg in einen vollständigen Lockerungszyklus. Zwar erwarten wir aufgrund des makroökonomischen Umfelds eine leichte Rezession in den USA und eine leichte Verlangsamung in Europa, gefolgt beides mal nur von einem sehr schwachen Aufschwung. Gleichzeitig wird die Inflation wahrscheinlich bis 2024 deutlich zurückgehen, aber immer noch nicht genug, damit die Zentralbanken vollständig zu neutralen Zinssätzen zurückkehren können (die nahe an ihrer Zielinflationsrate von zwei Prozent liegen dürften).

Dieses Szenario - unser Hauptszenario - ist eine gute Ausgangslage für Anleiheinvestoren. Sie profitieren bereits jetzt von laufenden Renditen, die sie so hoch wie zuletzt 2008 stehen.7 Und als Sahnehäubchen könnten sie sogar noch von leicht sinkenden Zinsen profitieren8(was den Kurs der Anleihen erhöhen würde). Wir gehen davon aus, dass die Renditen am kürzeren Ende stärker sinken werden als am längeren Ende, was wiederum bedeutet, dass wir binnen zwölf Monaten mit einer Abflachung der Renditekurven9 rechnen. Für 10-jährige Renditen erwarten wir 4,2 Prozent für Treasuries und 2,7 Prozent für Bundesanleihen, für 2-jährige Renditen erwarten wir entsprechend 4,35 Prozent und 2,7 Prozent. Bei den Laufzeiten würden wir derzeit das Segment zwischen zwei und fünf Jahren Restlaufzeit bevorzugen, da man bei fast gleich hohen laufenden Renditen ein geringeres, da zeitlich nach hinten verschobenes Wiederanlagerisiko10 gegenüber dem sehr kurzen Ende der Laufzeitenkurve trägt.

Und wem Staatsanleiherenditen nicht genügen, der bekommt unserer Meinung nach bei Unternehmensanleihen einen schönen Renditeaufschlag bei überschaubarem zusätzlichem Risiko.  Insbesondere wenn man bei Investment-Grade-Anleihen bleibt. Wir bevorzugen sie gegenüber Hochzinsanleihen als Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass sich unser Hauptszenario nicht bewahrheiten sollte und uns ein stärkerer Abschwung mit entsprechend höheren Kreditausfallraten droht, was die Renditen der Hochzinsanleihen entsprechend schmälern würde. Da die Fundamentaldaten jedoch besser sind als in früheren Zyklen, sind wir der Meinung, dass HY-Anleihen über ein gewisses Renditepolster für die kommenden Monate verfügen, in denen die durch den Straffungszyklus bedingten Refinanzierungsschwierigkeiten immer mehr Sektoren erfassen. Bei den Schwellenländeranleihen, so heterogen diese Anlageklasse auch sein mag, sind wir wegen der Belastung durch die Probleme Chinas etwas vorsichtig, wobei wir Unternehmensanleihen gegenüber Staatsanleihen leicht bevorzugen.

Im Bereich Alternativer Anlagen geben wir unsere positive Haltung gegenüber Gold nicht auf, das sich in den letzten zwölf Monaten trotz des starken Gegenwinds durch steigende Realzinsen und dank des Rückenwinds durch die Käufe der Zentralbanken recht gut gehalten hat. Ersterer lässt bereits nach, während letzterer wohl noch anhalten dürfte. Unser Kursziel liegt bei 2150 USD/Unze. Auch Öl wird in den nächsten zwölf Monaten mit verschiedenen Gegen- und Rückenwinden konfrontiert sein, aber wir glauben, dass das Angebot mehr als ausreichend sein wird - hauptsächlich aus den USA und dem Iran kommend, während China das Nachfragewachstum belastet - und dass Brent im nächsten Herbst in etwa wie gehandelt werden wird (bei 88 USD/b).

Im Bereich Infrastruktur sehen wir aufgrund des Inflations- und Zinsdrucks eine anhaltend starke Performance. Die Bewertungen in den Privatmärkten halten sich außerhalb ausgewählter Sektoren gut. Wir gehen davon aus, dass sich die Verlangsamung der Mittelbeschaffung und der Transaktionen im 3. und 4. Quartal 2023 umkehren wird, wenn sich dieses Marktsegment beruhigt haben könnte. Unsere bevorzugten Sektoren sind Energie, Transport und Digitales wie Datenzentren. Dies führt uns fast zu den Immobilien, wo höhere Zinsen erst mit einer Verzögerung von 6-12 Monaten im Vergleich zu den börsennotierten Märkten in die Bewertungen einfließen. Die Fundamentaldaten sind jedoch nach wie vor solide mit niedrigen Leerstandsquoten und einem gesunden Mietwachstum in den meisten Sektoren und Regionen. Die Rezession könnte die Vermietung dämpfen, aber auch die Bautätigkeit geht aufgrund des Arbeitskräftemangels und der fehlenden Finanzierungen zurück. Wir bevorzugen Logistikimmobilien aufgrund der steigenden Nachfrage und Wohngebäude aufgrund der Wohnungsknappheit.

Insgesamt glauben wir, dass Anleger gegen Jahresende noch einmal nervöser werden könnten. Einige Realitätschecks werden fällig, nicht zuletzt für China, das mit verschiedenen, auch langfristigen Herausforderungen zu kämpfen hat, auch wenn die derzeitige Anlegerstimmung in diesem Fall ihren temporären Tiefpunkt erreicht haben könnte. Und bei der Inflations- und Wirtschaftsentwicklung gilt das besagte Diktum der Zentralbanken: jede einzelne Zahl kann überraschen und gilt es zu würdigen. Die gute Nachricht für Anleger ist jedoch, dass ihnen eine breite Palette von Anlageklassen zur Verfügung steht, die ihnen je nach ihren Präferenzen und Marktaussichten laufende Erträge, Kurspotenzial oder relativen Schutz bieten können.

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Prognosen basieren auf Annahmen, Schätzungen, Ansichten und hypothetischen Modellen oder Analysen, die sich als nicht zutreffend oder nicht korrekt herausstellen können.

Alternative Anlagen sind mit diversen Risiken behaftet, nicht unbedingt für jeden Anleger geeignet und für jedes Portfolio verfügbar.

Fußnoten

1Da die wachsende Zahl geopolitischer Feinde weniger geneigt sein könnte, von den USA Kredite aufzunehmen. Das Risiko, dass Sie Ihr Geld nicht zu einer ähnlichen Rendite wieder anlegen können, wenn Ihre ursprüngliche Anlage ausläuft.
2Stand: 23.11.9.
3Genauer gesagt ohne TMT: Technologie, Medien und Telekommunikation. Datastream US Market ex TMT Index.
4Auf der Grundlage von Gewinnschätzungen für die nächsten 12 Monate und regionalen Datastream-Indizes. Quelle: Refinitiv Inc.; Stand: 11.09.2023
5Renditen 10-jähriger inflationsgeschützter Staatsanleihen. Deutsche inflationsgeschützte 10-jährige Bundesanleihen rentieren mit 0,17 Prozent im Vergleich zu einem 10-Jahres-Durchschnitt von -0,5 Prozent. Quelle: Bloomberg Finance L.P., Stand: 11.09.2023.
6Wir glauben, dass die Fed für diesen Zyklus bereits fertig ist, wobei das Risiko einer weiteren Zinserhöhung besteht. Für die EZB erwarten wir eine Zinserhöhung in dieser Woche oder spätestens im November, wobei das Risiko darin besteht, dass keine Erhöhung erfolgt
7Basierend auf den Renditen der Global Aggregated, die am 09.11.2023 bei 4 Prozent lagen, Quelle: Bloomberg Finance L.P.
8Für unseren Prognosehorizont erwarten wir je eine Zinssenkung der Fed im 2. und 3. Quartal 2024 und keine EZB-Senkung vor dem 4. Quartal 2024.
9Hier steht immer die Differenz zwischen den 2- und 10-jährigen Anleiherenditen im Vordergrund.
10Von einem solchen spricht man, wenn man sich nicht sicher sein kann, ob man eine auslaufende Anleihe zu einem gleichen höheren Zinssatz wieder anlegen kann.