Loys Capital Kolumne vom 06.04.2021

Deutschlands Finanzaufsicht „Weltklasse“

Am ersten April hätte man diese Schlagzeile aus der FAZ für einen gelungenen Scherz gehalten, aber Felix Hufeld, der scheidende BaFin-Chef, ist offenbar dieser Auffassung. Sein designierter Nachfolger Mark Branson gab sich kurz davor bescheidener, indem der meinte, Deutschland brauche eine Finanzaufsicht von „Weltklasse“.

Am Tag des Erscheinens dieses Zitats hatte die FAZ auch ein Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden von Boehringer Ingelheim anzubieten, das die Überschrift trug: „Wir beschäftigen uns in Deutschland immer zuerst mit den Risiken.“

Meine Meinung lautet: Deutschlands Finanzmarkt, vor allem der Eigenkapitalmarkt, besitzt bestenfalls Zweitliganiveau. Wozu brauchen wir dann eine Finanzaufsicht, die meint, „Weltklasse“ zu sein? Viel wichtiger für den Wohlstand der Bevölkerung wäre doch ein erstklassiger Kapitalmarkt. Länder, die in Kapitalmarktdingen in der Weltspitze spielen, verfügen stets auch über eine besonders hohes Wohlstandsniveau. Daher wäre die Politik gut beraten, ihren Fokus nicht auf die Finanzaufsicht, sondern vor allem auf die Förderung des Finanzmarktes zu richten. Vielleicht kann es dann irgendwann einmal möglich sein, dass deutsche Start-ups nicht auf ausländische Wagniskapitalgeber angewiesen sind. Zwar wird es wohl Utopie bleiben, dass die deutsche Bevölkerung in größerem Umfang Miteigentümerin der Wirtschaft durch Aktienbesitz wird, aber es wäre schon viel gewonnen, wenn die Politik die regulatorische und steuerliche Benachteiligung der Aktienanlage gegenüber der inzwischen nutzlos gewordenen Zinsanlage beendet. Möglicherweise lässt sich dann auch von einem Tag träumen, an dem Unternehmen vom Schlage BioNTech nicht an die New Yorker Börse gehen müssen, um ausreichend verstanden zu werden. In einem Idealszenario könnte der deutsche Aktienmarkt eine Bedeutung erlangen, die der Größe und Wichtigkeit der deutschen Wirtschaft nahekommt.

Das mag Wunschdenken sein angesichts einer politischen Führungsschicht, die das Thema bewusst seit Jahrzehnten ignoriert. Der Reformkanzler Gerhard Schröder hatte in seiner heutzutage sensationell anmutenden Reformagenda 2010 auch den deutschen Finanzmarkt erheblich stärken wollen (man denke etwa an kapitalgedeckte Altersvorsorgekonzepte wie Riester- und Rürup Rente). Davon ist nicht mehr viel übrig geblieben und über gute Ansätze kam rot-grün damals leider nicht weit genug hinaus. Seither hat es unter den Sozialdemokraten von CDU/CSU und SPD überwiegend Rückschritte und vor allem höhere Steuern gegeben. Es spricht für sich, wie groß inzwischen die Bedeutung der staatlichen KfW für die Finanzmarktlenkung der Bundesregierung geworden ist. Ordnungspolitisch würde sich Ludwig Erhard, der erste Reformkanzler der Bundesrepublik, im Grabe umdrehen, wenn er den Staatsdirigismus mit ansehen müsste, bei dem auch die Europäische Zentralbank kräftig mitmischt.

Das oben genannte Zitat des Vorstandsvorsitzenden von Boehringer Ingelheim hilft uns bei der Suche nach den Gründen für die Zweitklassigkeit des hiesigen Finanzmarktes. Risikophobie, Beamtenmentalität und nicht zuletzt ein Hang zum Perfektionismus verhindern das beherzte und pragmatische Ergreifen von Chancen. Nur fürchte ich, dass dies mittlerweile die überwiegende DNA unserer überalternden Bevölkerung ist. Daher ist es auch nicht unlogisch, dass andere Wirtschaftsregionen wesentlich bessere Wachstumsdynamik an den Tag legen. Und aus Brüssel sind keine Impulse zu erwarten. Die Zeiten, in denen man sich dort zum Ziel gesetzt hatte, die wettbewerbsfähigste Region der Welt zu werden, sind lange vorüber. Für den Finanzmarkt gilt diese Feststellung allemal.

Aus Chicago
Ihr
Dr. Christoph Bruns


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