ODDO BHF “Blick auf die Kapitalmärkte” vom 18.07.2025
Marktturbulenzen beginnen oft im Sommer, wenn die Liquidität gering ist – ein Phänomen, das noch nicht vollständig verstanden ist. Denken Sie an 2024: Im August überraschte ein US-Arbeitsmarktbericht mit schwachen Zahlen. Weitere enttäuschende Daten folgten und schürten Ängste vor einer Abkühlung der US-Konjunktur. Gleichzeitig hob die Bank of Japan Ende Juli die Zinsen an, was zu einer Auflösung von Yen-Carry-Trades führte und den Topix an einem Tag um mehr als 12 % einbrechen ließ. Ein weiteres Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist 2022. Ende August schlug Jerome Powell auf dem jährlichen Jackson Hole Economic Symposium einen restriktiven Ton an. Im September erhöhte die US-Notenbank die Zinsen um weitere 75 Basispunkte. Im August desselben Jahres verlor der S&P 500 über 4 %, im September weitere 10 %. Ob es sich nun um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung handelt oder nicht – wir sollten wachsam bleiben und unsere Checkliste mit den 10 Punkten durchgehen, die die Finanzmärkte im Sommer aus dem Tritt bringen könnten.
Zollroulette
Die USA verschicken weiterhin Zollandrohungen an ihre Handelspartner. Die Liste der betroffenen Länder wird immer länger, und aus dem Stichtag 2. April wurde erst der 9. Juli und dann der 1. August. Wen trifft es als Nächstes? Und wie stark? Niemand weiß es. Sicher ist nur: Die Unsicherheit ist noch lange nicht vorüber, wie die weiterhin widersprüchlichen Nachrichten zeigen, und die Folgen für die Wirtschaft könnten noch nicht vollständig eingepreist sein. Insbesondere für die Europäische Union könnte der vorgeschlagene „reziproke Zollsatz” von 30 % zusammen mit den bestehenden sektorspezifischen Zöllen (Stahl, Aluminium, Autos) das BIP der Eurozone bis Ende 2026 um insgesamt 1,2 % schrumpfen lassen. Nun heißt es, die Handelsverhandlungen genau zu verfolgen … und immer auch ein Auge auf „X“ und „Truth Social“ zu haben.
Berichtssaison
Die Berichtssaison zum zweiten Quartal ist angelaufen. Hier sollte ein besonderes Augenmerk auf Europa liegen. Die allgemeine Erwartung ist, dass der Gewinn je Aktie im Vergleich zum Vorjahr um 2 % sinkt, das wäre ein Fünf-Quartals-Tief. Hauptgründe sind schwächere Umsätze und ein starker Euro. Zwei Aspekte gilt es speziell im Blick zu behalten: Erstens die Sektoren, deren Umsätze stark von den USA abhängen (Konsumdienstleistungen, Pharma, Medien, Software, Bauwesen) sowie die Folgen der Wechselkursentwicklung auf diese Branchen. Und zweitens die Entwicklung der Gewinnrevisionen für 2025. Seit April haben sich die Erwartungen an das Wachstum des Gewinns je Aktie für 2025 halbiert, und wir rechnen in den nächsten Monaten mit weiteren Abwärtskorrekturen. Ein Gewinnrückgang in Europa im Jahr 2025 – derzeit liegt die Konsensprognose noch bei +2 % – wäre keine Überraschung und würde die Umschichtung internationaler Anleger in Richtung Europa zur Diversifizierung in Frage stellen.
Weiche und harte Daten in den USA
Die US-Wirtschaft zeigt sich überraschend widerstandsfähig. Der Citi Economic Surprise Index zeigt, dass die „harten” – vergangene Zeiträume abbildende – Daten besser ausfallen als erwartet. Die „weichen” Daten, die in die Zukunft blicken, spiegeln jedoch ein weiter schwindendes Vertrauen in die Wirtschaft wider. Die für den Sommer erwarteten Wirtschaftsdaten könnten die Kluft zwischen diesen beiden Daten verringern. Die Inflation bleibt das zentrale Marktrisiko. So deuten die „weichen“ Daten darauf hin, dass US-Unternehmen einen Teil der durch Zölle entstehenden Kosten an ihre Kunden weitergeben wollen. Sollten die inflationstreibenden Effekte der Zölle sichtbar werden, könnte dies dazu führen, dass die Märkte Zinssenkungen auspreisen (bislang geht der Konsens von einer Senkung um weitere 48 Basispunkte im weiteren Jahresverlauf 2025 aus). Dies wäre ein schlechtes Signal für die Finanzmärkte.
US-Anleihemarkt und die Zukunft von US-Notenbankchef Powell
Donald Trumps „One Big Beautiful Bill“ ist verabschiedet und wird das US-Defizit innerhalb der nächsten zehn Jahre um 3 bis 5 Billionen US-Dollar erhöhen. Mit der angehobenen Schuldenobergrenze kann das US-Finanzministerium wieder Schulden aufnehmen. In den kommenden Wochen könnte daher ein großes Volumen kurzfristiger Wertpapiere auf den Markt drängen. Hier gilt es ein wachsames Auge auf die Auktionen zu haben, denn langlaufende Anleihen reagieren zunehmend sensibler auf Inflationsüberraschungen, eine Neuausrichtung der US-Geldpolitik und veränderte Kapitalströme. In einem Umfeld mit weiterhin fragilen Anleihemärkten ist nicht auszuschließen, dass Fiskalsorgen wieder vermehrt aufflammen. Die Gründe für diese Anfälligkeit haben sich in den letzten Monaten vervielfacht: ein unkontrollierter Haushaltskurs in den USA, die Abkehr der Anleger von US-Vermögenswerten, die Erosion des Status von Treasuries als sicherer Hafen und Spekulationen, Trump könnte Fed-Chef Powell entlassen, was Zweifel an der Unabhängigkeit der US-Notenbank schürt.
Die deutsche „Bazooka“
In Bezug auf die Fiskalimpulse in Deutschland sollten Anleger genau beobachten: Wie werden die Konjunkturmaßnahmen ausgestaltet? Wie äußern sich Unternehmenschefs? Welche konkreten Schritte unternimmt die Politik? In der ersten Julihälfte haben die größten deutschen Unternehmen angekündigt, bis 2028 beeindruckende 300 Mrd. Euro (7 % des BIP) investieren zu wollen. Voraussetzung hierfür sind allerdings Strukturreformen. Am 21. Juli wollen Politik und Wirtschaft bei einem Gipfeltreffen mit Friedrich Merz den Rahmen für diesen Neustart abstecken. Mit einem Steuerentlastungspaket in Höhe von 46 Mrd. Euro könnte diese Initiative einen strategischen Wendepunkt von Stagnation zu Erneuerung einleiten. Doch jede diesbezügliche Enttäuschung könnte Zweifel daran aufkommen lassen, ob der Wandel tatsächlich (zügig) kommt.
Positionierung der Anleger
Entgegen der verbreiteten Annahme, dass insbesondere Privatanleger ihr Aktienengagement ausweiten, sind Anleger auf beiden Seiten des Atlantiks in Aktien weiterhin neutral positioniert. Dadurch bleibt der Markt anfällig für negative Katalysatoren. Der Markt hat – wenig überraschend – die Zolleskalation nicht als solche gewertet. Doch das bisherige Ausbleiben eines Aktienabverkaufs bedeutet auch, dass Negativnachrichten anderer Art eine Reaktion an den Aktienmärkten auslösen könnten. Die auf Rekordhochs liegenden Aktienkurse bestärken uns in unserer vorsichtigen Haltung. Insbesondere in den USA ist eine starke Konzentration auf die „glorreichen Sieben“ und KI-bezogene Themen (vor allem Halbleiter) zu beobachten. Zwar rechtfertigt das relativ widerstandsfähige Wachstum des Gewinns je Aktie diese Entwicklung teilweise, doch Anleger sollten hier wachsam bleiben.
Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz
KI ist ein Investitionswettlauf. Entscheidend sind hier die Investitionsausgaben und deren Monetarisierung. Amazon, Microsoft, Google und Meta haben angekündigt, 2025 insgesamt 300 Milliarden US-Dollar in KI-Projekte zu investieren. Anleger sollten in der Sommerpause zweierlei im Auge behalten: wie sich die Unternehmenschefs in der Berichtssaison zu KI-Investitionen äußern (ein Zurückfahren der Investitionsanstrengungen würde als negatives Zeichen gelten) und wie stark KI die Margen der Unternehmen beeinflusst. Morgan Stanley schätzt, dass die Nettomargen der S&P-500-Unternehmen 2025 dank KI-bedingter Produktivitätsgewinne um 30 Basispunkte steigen könnten.
Achterbahnfahrt des Ölpreises
Ein möglicher Auslöser für Turbulenzen im Sommer ist ein deutlicher Anstieg der Ölpreise infolge eines geopolitischen Schocks. Auch wenn die unmittelbare Gefahr eines größeren Ölschocks gebannt scheint, stellt dies doch ein potenzielles Risiko für die Märkte dar: Die Inflation würde angeheizt und die Zentralbanken sähen sich gezwungen, auf weitere Zinssenkungen zu verzichten. Aus fundamentaler Sicht sehen wir jedoch keinen Grund für einen Ölpreisanstieg. Gleichzeitig spricht unserer Meinung nach auch nichts für einen Rückgang unter 60 US-Dollar pro Barrel, da die Gewinnschwelle der US-Schieferölproduzenten derzeit bei 65 US-Dollar pro Barrel liegt.
EUR/USD-Wechselkurs
Aus unserer Sicht stehen wir erst am Anfang der Dollar-Baisse. Doch die Abwertung des US-Dollar um 15 % gegenüber dem Euro seit dem 10. Januar setzt europäischen Exporteuren schon jetzt spürbar zu. In den kommenden Monaten ist daher eine Konsolidierungsphase wahrscheinlich. Diese Seitwärtsbewegung könnte den Boden bereiten für einen weiteren deutlichen Anstieg bis Jahresende. Gleichzeitig sollte man den steigenden Gewinndruck auf europäische Exporteure im Auge behalten. Die laufende Berichtssaison dürfte Anlegern wertvolle Anhaltspunkte liefern. Ein weiteres Thema, das während der Sommerpause Beachtung verdient, sind die Auswirkungen eines schwächeren US-Dollar auf die importierte Inflation in den USA.
Konjunkturimpulse in China
Die Wirtschaft wächst zwar weitgehend wie geplant. Doch da die Binnennachfrage allmählich nachlässt, dürften die politischen Entscheidungsträger in den kommenden Monaten wohl zusätzliche Konjunkturimpulse setzen. Denkbar wären höhere Quoten für die Emission von Staatsanleihen, Bankkredite für Infrastrukturprojekte, Zinssenkungen oder Zuschüsse zur Kinderbetreuung. Im Immobiliensektor bestehen weiterhin erhebliche Risiken. Ein erneuter Abschwung dort würde das Wirtschaftswachstum sicher stark bremsen. Bleiben Impulse in diesem Bereich aus, könnte das den chinesischen Aktienmarkt belasten.
Wie sollte man sich positionieren?
- Aktien: Wir behalten unsere leicht übergewichtete Position in Aktien bei, raten jedoch dazu, den Tracking Error zu verringern und zu einer neutraleren Position überzugehen. Mit Blick auf die etwas anspruchsvollen Bewertungen und hohe Unsicherheit verzichten wir auf eine ausgeprägtere aktive Risikoposition. Da die Einführung höherer US-Zölle und die damit verbundenen Unwägbarkeiten das Wachstum in den USA bremsen könnte, setzen wir auf eine leicht untergewichtete Position in US-Aktien. In Europa könnten ausgleichende Faktoren, wie nur zurückhaltende Vergeltungsmaßnahmen und starke fiskalische Impulse, einen relativen Vorteil bieten. Daher bevorzugen wir europäische Aktien und gehen bei Small Caps zu einer leichten Übergewichtung über. Bei britischen Aktien wechseln wir aufgrund der größeren politischen Unsicherheit zu einer leichten Untergewichtung.
- Staatsanleihen: Wir gehen zu einer leicht übergewichteten Duration über. Hierfür sprechen in Bezug auf die Kernländer Europas die weiter rückläufige Inflation und die unterstützende EZB-Politik. In den europäischen Peripherieländern haben sich Fundamentaldaten und Stimmung verbessert, daher behalten wir hier die leichte Übergewichtung bei. Die leicht übergewichtete Duration in US-Staatsanleihen dient angesichts der für die zweite Jahreshälfte erwarteten schwächeren Konjunkturdaten als taktische Absicherung der Aktienpositionierung. Dennoch sind wir uns bewusst, dass das Haushaltsdefizit und eine höhere Inflation langfristig Risiken für die USA darstellen.
- Unternehmensanleihen: In Bezug auf das Kreditrisiko sind wir positiv eingestellt, da das Risiko einer globalen Rezession nachgelassen hat. Die Spreads sind zwar vergleichsweise eng, insgesamt jedoch bietet das Renditeniveau weiterhin gutes Carry-Potenzial. Aus Risiko-Rendite-Sicht bevorzugen wir weiterhin Kurzläufer aus dem Investment-Grade- und Hochzinssegment, da das Verlustpotenzial gering ist.
- Währungen: Wir sind weiterhin der Ansicht, dass der Euro gegenüber dem US-Dollar aufwerten wird. Hierfür sprechen langfristige Indikatoren wie die Kaufkraftparität und die Leistungsbilanzsalden. Zudem könnte eine Wachstumsabschwächung in den USA den US-Dollar schwächen.
Fazit: Gönnen Sie sich Entspannung, aber bleiben Sie wachsam
Der Sommer wird oft automatisch mit geringer Liquidität und entspannten Nachmittagen in Verbindung gebracht. Doch die Geschichte lehrt, dass es an den Märkten gerade dann schnell turbulent werden kann, wenn man es am wenigsten erwartet. Die Liste potenzieller Auslöser für Volatilität ist lang: Von Handelsunsicherheiten und enttäuschenden Unternehmensgewinnen über einen fragilen Anleihemarkt bis hin zu geopolitischen Risiken ist alles dabei. Zwar dürfte keiner dieser Faktoren allein eine größere Korrektur auslösen, doch die Kombination aus schwächeren Konjunkturdaten, politischen Überraschungen und der Positionierung der Anleger könnte für eine verstärkte Marktreaktion sorgen. Umsichtige Anleger sollten die Sommerpause daher genießen, aber wachsam bleiben. Es gilt, wichtige Indikatoren im Auge zu behalten, die Risikopositionierung jeweils neu zu bewerten und bereit zu sein, schnell zu reagieren. Schließlich hat sich die sommerliche Ruhe oft als Ruhe vor dem Sturm erwiesen.