THE DIGITAL LEADERS FUND "Besser investieren" vom 02.03.2022

Russland-Krieg, Sanktionen und die Z-Frage

In Europa ist seit letzter Woche Krieg. Die russischen Streitkräfte sind auf breiter Front in die Ukraine eingerückt. Beispiellose Sanktionen des Westens sind die Folge. Die Märkte sind nervös, halten sich aber insgesamt relativ wacker. Was für Anleger in der heutigen Situation zu beachten ist.

Wie ist der Konflikt einzuordnen?

Bei dem russischen Angriffskrieg geht es längst nicht mehr um zwei Provinzen in der östlichen Ukraine. Der Vorstoß der russischen Armee ist umfassend und zielt auf die Kontrolle der gesamten Ukraine ab. Es ist der größte zwischenstaatliche Krieg seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das hat zu einer globalen Eskalation geführt. Die westlichen Industrieländer sind eingeschritten und haben eine beispiellose Reihe an Sanktionen gegen Russland verhängt. Die russische Wirtschaft soll hart getroffen werden, vor allem der Finanzsektor wird gerade abgeschnürt. So wurden nicht nur russische Banken vom zentralen Zahlungssystem SWIFT abgekoppelt. Die EU und die USA haben vielmehr auch, und das ist sogar noch gravierender für die russische Wirtschaft, den Zugang der russischen Zentralbank zu den internationalen Finanzmärkten abgeklemmt. Damit droht Putins Russland eine wichtige Finanzierungsquelle abhanden zu kommen. Der massive Verfall der russischen Währung hat die russische Zentralbank bewogen, in einer Notmaßnahme den Leitzins um 10,5 Prozentpunkte auf 20 Prozent zu erhöhen. Das zeigt, wie ernst man in Moskau die Lage einschätzt.

Wie haben die Finanzmärkte reagiert?

Genau genommen so, wie es zu erwarten war. Zu den fast schon gesetzmäßigen Folgen einer eskalierenden Krise gehört die regelrechte Implosion der unmittelbar betroffenen Märkte. Gegenüber dem Euro und dem US Dollar ist der Rubelkurs in der vergangenen Woche um bis zu 24 Prozent eingebrochen. Der in Dollar notierte RTX ist in dem Zeitraum um 40 Prozent gefallen. Die Papiere von Sberbank in London sind alleine in den ersten zwei Monaten des Jahres mit einem Minus von 94 Prozent, die von Rosneft mit Minus 78 Prozent regelrecht implodiert. Der Handel an den lokalen Märkte in Russland und der Ukraine ist seit Beginn der Invasion Russlands ausgesetzt. Das hat auch zur Folge, dass Russland- und Osteuropafonds mit hohem Russlandanteil derzeit keinen Nettoinventarwert berechnen und daher faktisch vom Handel ausgesetzt wurden. Auch europäische Aktien haben Verluste eingefahren, die sich allerdings bisher mit einem Minus von unter zehn Prozent im Rahmen halten. Spiegelbildlich dazu sind Gold, Bundesanleihen leicht, der Ölpreis stark gestiegen. Bitcoin hat seit dem Beginn der russischen Invasion eine Berg- und Talfahrt hingelegt und lag am Dienstagmittag rund 20 Prozent über dem Niveau der Vorwoche. Interessant ist, dass sich japanische, schweizerische und US-Aktien relativ stabil gehalten haben. Das ist kein Wunder: Diese drei Märkte bzw. deren Währungen gelten als sichere Häfen, die Anleger in Zeiten hoher Unsicherheit ansteuern.

Wie geht es an den Märkten weiter?

Das weiß natürlich keiner. Wenn in den nächsten Tagen wider Erwarten Russland das Feuer einstellt und mit der Ukraine ernsthaft einen Frieden verhandelt, dann werden die Auswirkungen auf die Kapitalmärkte begrenzt sein. Je länger der Krieg aber dauert, umso komplizierter wird die Lage. Es könnte eine umfassende Krise folgen. Eine mögliche Indikation für solche Ausmaße geben die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, in denen wir zwei große Finanzkrisen erlebt haben. Die waren überaus heftig. Verluste von zwischen 50 und 60 Prozent und mehr kamen 2000 bis 2003 bzw. 2007 bis 2009 bei den großen Indizes zusammen. Derartige Verluste auszugleichen, dauert Jahre. Während der Finanzkrise erreichte der MSCI World sein letztes Hoch Ende November 2007. Das Kurstal war im März 2009 erreicht. Sein Vorkrisenniveau erreichte der MSCI World erst wieder im Juli 2013, also knapp sechs Jahre später. Noch schlimmer sah es beim NASDAQ 100 aus. Er konnte den Stand vom April 2000 erst wieder im August 2014 erreichen. Das sind mehr als 14 Jahre!

Das heißt, dass wir noch längst nicht das Schlimmste gesehen haben?

Gemach. Auch wenn die heutige Lage dramatisch ist, haben politische Börsen in der Vergangenheit kurze Beine gehabt. Blicken wir auf die letzte geopolitische Krise zurück, bei der eine ernsthafte Destabilisierung der internationalen politischen und wirtschaftlichen Ordnung drohte: den Kuwait-Krieg. Das Beispiel ist deshalb nicht weit hergeholt, weil es auch damals um Energiesicherheit ging. Als die irakische Armee Kuwait Anfang August 1990 besetzte, gingen die Märkte auf Tauchstation. Bis Anfang Oktober verloren die Aktienmärkte maximal 32 Prozent wie im Falle des (stark erdölhungrigen) Japan. Der DAX büßte in den Wochen nach der Invasion knapp 30 Prozent ein, der MSCI World sackte um gut 22 Prozent ab. Der S&P 500 verlor indes nur etwas über elf Prozent, der FTSE 100 begrenzte die Verluste sogar auf deutlich unter zehn Prozent. Die meisten Märkte hatten bereits im Oktober 1993 wieder die Verluste egalisiert, also nach gut drei Jahren. (Alle Rendite-Angaben in der jeweiligen Landeswährung). Die Krim-Annexion taugt hier nicht als Blaupause, da die Sanktionen begrenzt und die Folgen für die globalen Märkte entsprechend gering waren. (Die Schäden für die russische Wirtschaft durch entgangenes Wachstum waren natürlich bedeutsam, aber angesichts der geringen Bedeutung Russlands für Investoren vernachlässigbar.)

Also alles halb so wild?

Ja und nein. Auch wenn das angesichts des unvorstellbaren Leids in der Ukraine zynisch klingen mag, würden bei einer regionalen Begrenzung des Krieges keine großen unmittelbaren Folgen für die globalen Aktienmärkte entstehen. Russland hatte vor dem Krieg ein Gewicht von weniger als vier Prozent im MSCI Emerging Markets. Die Erwägung des Indexanbieters MSCI, russische Aktien aus dem Index zu entfernen, sorgt für wenig Aufhebens. STOXX-Indizes der Deutschen-Börse-Gruppe haben diesen Schritt bereits beschlossen. Die Bedeutung der Ukraine ist noch geringer. Ukrainische Aktien befinden sich in der dritten Größenliga unter den sogenannten Frontiermärkten. Unterdessen haben Unternehmen weltweit angefangen, sich auf die neue Realität einzustellen. Sie kappen ihre Beziehungen zum russischen Markt. BP veräußert seinen 20-prozentigen Anteil an Rosneft und forciert damit seinen Ausstieg aus dem Markt für fossile Energie. Der norwegische Energiekonzern Equinor steigt ebenfalls aus einigen Joint Ventures in Russland aus. Die Reederei Maersk stoppt den Containerverkehr mit Russland, und Walt Disney bringt vorerst keine Filme auf den russischen Markt. Das sind nur die ersten von einer Reihe von anstehenden Schritten. Auch Finanzinvestoren ziehen sich zurück. So hat u.a. der norwegische Staatsfonds angekündigt, seine Beteiligungen an russischen Firmen, immerhin im Wert von 3,3 Milliarden Dollar (Stand: Ende 2020), zu liquidieren. Im Einzelfall werden Firmen und Asset Manager (bzw. ihre Anleger) hohe Verluste auf ihre Assets in Russland verbuchen müssen, aber das wird wegen der zumeist geringen Bedeutung Russlands in den Portfolios von Firmen und Finanzanlegern keine existenziellen Dimensionen haben.

Und wo hat der russische Angriffskrieg mittelbar Folgen?

Bei der Versorgung der Welt mit Rohstoffen. Das gilt vor vor allem für Öl und Erdgas, aber auch wichtige Industriemetalle wie Nickel, Platin, Bauxit/Aluminium oder Palladium, die in Russland in großem Stil gefördert werden. Unsere Nachfrage ist hoch, und eine Unterbrechung der Versorgung mit diesen Rohstoffen käme teuer zu stehen. Der Preisanstieg vieler Rohstoffe in den vergangenen Wochen zeigt, dass der Westen in hohem Maße abhängig ist. Die westlichen Industrienationen bauen offenbar darauf, dass es Russland wegen seiner Abhängigkeit von den ausländischen Devisen, die der Energie- und Rohstoffexport bringen, es nicht wagen wird, den Westen abzuschneiden.

Was ist, wenn Putin das anders sieht und zusätzlich den militärischen Druck erhöht und der Konflikt eine nukleare Dimension bekommt?

Daran mag man nicht denken, aber man muss es wohl. Es spricht einiges dagegen, dass der russische Präsident unzurechnungsfähig ist, auch wenn entsprechende Berichte auch in seriösen Medien kursieren. Aktuell geht es ihm “nur” um die Ukraine. Hier scheint die russische Seite seit dieser Woche einen “All-in” anzustreben, und man kann eher dem Westen vorhalten, die Zeichen an der Wand nicht gesehen zu haben, als Wladimir Putin erratisches Vorgehen zuzuschreiben. Er verfolgt einen teuflischen Plan, aber das bedeutet nicht, dass er verrückt im Sinne von mental derangiert sein muss. Die zunächst verhaltene Vorgehensweise Russlands im Krieg mit der Ukraine ist seit Montag in eine rücksichtslose Kriegsführung umgeschwungen, in der die Zivilbevölkerung der Ukraine systematisch ins Fadenkreuz genommen wird. Unter diesen Gesichtspunkten ist die Mobilisierung der russischen Nuklearstreitkräfte zu sehen. Es dürfte sich um eine Warnung an den Westen handeln, es mit seiner Unterstützung für die Ukraine – aus der Perspektive Moskaus – nicht zu weit zu treiben. Die Warnung dürfte auch dazu beigetragen haben, dass im Westen inzwischen unisono die Idee einer Flugverbotszone über der Ukraine verworfen wurde – wie auch die anvisierte “Abholung” von Kampfjets durch ukrainische Piloten in Polen. Zum jetzigen Zeitpunkt spricht nichts dafür, dass Putins Russland auch die direkte Konfrontation mit der NATO, etwa in Ostpolen oder den baltischen Staaten, suchen wird. Aber wegen der hohen Unsicherheit über die wirklichen Pläne Putins, die keiner kennt, stellt sich die NATO auf eine lange Konfrontation ein. Die beschlossene massive Aufrüstung der Bundeswehr ist das sichtbarste Zeichen, dass der Ost-West-Konflikt nach 30 Friedensjahren zurückgekehrt ist.

Sollte ich jetzt Aktien kaufen?

Wer ohnehin in Aktien investieren wollte und noch eine lange Investitionsphase vor sich hat, sollte kaufen. Russische Aktien sind nicht investierbar, aber sonst war es oft eine gute Idee, in einer Korrektur zu investieren. Einige Märkte, etwa der NASDAQ 100, waren zuweilen in einem Bärenmarkt, hatten also Verluste von über 20 Prozent zu beklagen. Wer eine positive Marktmeinung und die Risikotragfähigkeit hat, sollte also beherzt zugreifen. Langfristig dürfte sich das lohnen.

Und wer sollte vielleicht doch Aktien verkaufen?

Verkaufen bzw. ihre Aktien teilweise in sichere Anlagen umschichten sollten diejenigen Anlegerinnen und Anleger, die anhand der Marktentwicklung der vergangenen sechs Monate gemerkt haben, dass ihr Portfolio zu riskant aufgestellt ist. Gerade jüngere Investoren in Highgrowth-Aktien haben in den vergangenen sechs Monaten hohe Verluste erlitten. Ein Portfolio, das nur dann profitiert, wenn ein kleiner Bereich des Marktes haussiert, ist nicht gut diversifiziert. Das gilt übrigens auch für die aktuellen Favoriten: Öl, Gold, Rohstoffe, Bonds. Wer diese Investments seinem Depot beigemischt hat, freut sich heute über diese Verlust-Reduzierer. Doch in Krisenzeiten neigen Anleger zur Übertreibung. Bekanntlich macht die Dosis das Gift. Jetzt alles auf Rohstoffe oder Gold zu setzen, wäre zu viel des Guten. Aktien sind langfristig die besten Werttreiber im Portfolio, alles andere ist nur eine Beimischung. Vielleicht lohnt sich heute sogar ein zweiter Blick auf Growth-Aktien, die bei einem erneuten Regime-Wechsel in der Zinspolitik zu den scheinbar unwahrscheinlichen Gewinnern im Aktienuniversum aufrücken könnten?

Aber die Fed wird doch die Zinsen in diesem Jahr erhöhen!

Ja, das wird sie. Man muss realistisch sein: Die Ukraine und sogar ganz Europa sind für die USA heute wortwörtlich beschrieben ein Nebenkriegsschauplatz. Die US-Wirtschaft brummt, der Arbeitsmarkt droht zu überhitzen, und die Inflation ist jetzt schon bedenklich hoch. Deshalb ist die Zinswende beschlossene Sache. Aber vermutlich wird sie nicht ganz so hart ausfallen, wie es noch vor wenigen Woche schien. Die meisten Marktteilnehmer gehen inzwischen davon aus, dass es zunächst nicht zu den ganz großen Zinsschritten kommen wird. Gingen sie bisher davon aus, dass die Fed die Zinsen Mitte März um 50 Basispunkte erhöhen wird, so hat die Gefahr, die von der Russlandkrise für die Energiesicherheit und die Lieferketten ausgeht, dazu geführt, dass zunächst nur ein kleiner Zinsschritt kommen dürfte. Es kann also gut sein, dass Tech-Werte nicht so stark unter die Räder kommen werden, wie es bei einem starken Zinsanstieg dazu kommen könnte. Weil die negativen Folgen der Isolierung Russlands für das stark vernetzte globale Finanzsystem noch nicht klar ersichtlich sind, dürften Banken, die eher ins Value-Lager gehören, spiegelbildlich nicht einen ganz so starken Lauf haben wie erwartet.
 

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